Je mehr du wegnimmst,
desto größer werde ich.
Je mehr du hinzutust,
desto kleiner werde ich.
Was bin ich?
Eh klar, ein Loch! Und so wie die Amerikaner auf die Löcher in ihren Krapfen und die Schotten auf ihre Monster-beherbergenden Seen (loch) stolz sind, sind es die Schweizer auf jene Lücken, die den Emmentaler Käse erst zu einer international bekannten Marke machen. Wo sie Löcher allerdings nicht so gerne haben, ist (neben Socken) der Tunnelbau – denn hier ist das eine große Loch quer durch den Berg mehr als genug. Jedes weitere, das durch Wasserzutritte, Einstürze und weitere unerwünschte Vorkommnisse entsteht, ist ein Loch zu viel.
So und nicht anders war es beim Projekt der Gemeinde Küssnacht am Rigi im Kanton Schwyz. Hier wird die entstehende Südumfahrung den historischen Dorfkern in Zukunft vom Verkehr entlasten – davor galt es aber, einige ungeplante Löcher zu stopfen. Wer sich fragt, wie so ein ungeplantes Loch aussieht, schaut sich hierzu am besten diese Bilder und Videos an. Mehr zu den Geschehnissen am Rigi erfahren wir von Patrick Gabriel, Bauingenieur der Züblin Spezialtiefbau GesmbH.
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Umfangreiche Maßnahmen zur Vortriebssicherung beim Auffahren eines seichtliegenden Lockergesteinsvortriebs im innerstädtischen Raum
Kern der Umfahrung von Küssnacht stellt der Tunnel Burg dar. Er unterquert die bestehende Bebauung mit sehr geringer Überdeckung im Lockergesteinsvortrieb. Der Tunnel liegt zum großen Teil unter dem Grundwasserspiegel und verläuft fast ausschließlich in Seeablagerungen und Schotterkomplex. Bei den Seeablagerungen handelt es sich zumeist um steifen bis halbfesten Ton, der schichtweise Einlagerungen von schluffigen Feinsanden mit dichter Lagerung aufweist. Die Seeablagerungen weisen eine hohe Festigkeit und eine sehr geringe Durchlässigkeit auf. Der Schotterkomplex wiederrum besteht aus Wechsellagerungen von sandig-kiesigen und sandigen Schichten mit Mächtigkeiten im Dezimeter- bis Meterbereich. Die Lagerungsdichte ist auch hier sehr hoch.
Nahezu auf der gesamten Strecke des bergmännischen Vortriebs ist an der Oberfläche eine Bebauung mit Wohngebäuden vorhanden. Der Vortriebsstart erfolgte im September 2016 von Norden aus. Rund 14 Etappen á 10 – 12 m wurden mit einer Vortriebssicherung aus Rohrschirmen, Ortsbrustankern und Spritzbeton hergestellt. Der Baugrund zeigte sich dabei wie erwartet homogen, die an der Oberfläche gemessenen Verformungen waren hoch (mit Werten von bis zu 4-5 cm), lagen jedoch noch im Bereich der Prognosen für ungünstig angenommene Baugrundkennwerte.
Das Problem
Im Juli 2017 musste bei Etappe 15 jedoch der Tunnelvortrieb eingestellt werden, da es zu einem unvorhergesehenen Schlammzutritt von etwa zehn bis 15 Kubikmetern kam. In der Folge wurde in diesem Bereich von der Oberfläche ein neues Erkundungsprogramm gestartet. Das Baugrundmodell musste unter Zugrundelegung der neuen Sondierungen korrigiert werden. Anstelle von kohäsivem Ton wurden sandige, kohäsionslose Seeablagerungen mit Mächtigkeiten von über einem Meter sondiert. Der Wasserspiegel lag an dieser Stelle etwa zehn Meter über der Firste. Ein Wasser- und Schlammzutritt mit sehr ungünstigen Auswirkungen auf die Stabilität war in der Folge für den weiteren Vortrieb ohne weitere Bauhilfsmaßnahmen nicht auszuschließen, weshalb unter hohem Zeitdruck alternative Konzepte gesucht wurden. Noch während die Maßnahmen auf der Nordseite abgeklärt wurden, wurde entschieden, einerseits die Verkleidungsarbeiten unter Tage zu starten sowie den Gegenvortrieb von der Südseite zu starten.
Im Lauf des Gegenvortriebs wurde ein stark rolliges, entfestigtes kiesiges Material angetroffen, weshalb aus Gründen der Arbeitssicherheit der Ausbruch der Kalotte in mehreren Teilflächen erfolgte. Am 20. September 2017 ereignete sich darauffolgend ein Verbruch durch die Rohrschirmrohre, der schließlich zu einem Tagbruch bei 17 Meter Überdeckung führte. Der Verbruchtrichter im Süden wies ein geschätztes Volumen von etwa 350 Kubikmeter auf und erreichte an der Oberfläche einen Durchmesser von fünf Metern. Nach diesem Ereignis wurde auch der Gegenvortrieb von der Südseite eingestellt.
Das neue Konzept/die Lösung
Nach intensiver Ursachenforschung und einer Neubewertung des bestehenden Sicherungskonzepts durch den Projektverfasser und den ausführenden Tunnelbauunternehmern wurde schließlich das Vortriebskonzept geändert. An der Nordseite wurde ein Konzept mit Grundwasserabsenkung, welche mittels mehrerer Filterbrunnen von der Oberfläche realisiert wurde, vorauseilenden Drainagebohrungen, Injektionen und horizontalen DSV-Säulen zwischen den Rohrschirmrohren, die eine Verfestigung des Bodens zwischen den Rohrschirmrohren bezweckten, erstellt. An der Südseite genügte ein Konzept mit horizontalen DSV-Säulen zwischen den Rohrschirmrohren. Vor der Wiederaufnahme des Gegenvortriebs wurde der Verbruchskörper mit Injektionen aufgefüllt und stabilisiert. Für diese Arbeiten wurde Züblin Spezialtiefbau GesmbH als spezialisierter Subunternehmer beauftragt.
Von diesem Zeitpunkt an wurde wechselseitig von beiden Portalen aus gearbeitet: entweder im Vortrieb oder seitens Züblin Spezialtiefbau GesmbH bei der Errichtung der Bauhilfsmaßnahmen. Die Ausführung der horizontalen DSV-Säulen erfolgte mit einem einarmigen Bohrgerät mit 28 m langer Lafette. Gebohrt wurde bis in 20 m Tiefe, die horizontalen DSV-Säulen wiesen gemäß Planung eine Länge von bis zu 17 m auf.
Eine systematische Überwachung der Verformungen im Tunnel, im Gebirge und an der Oberfläche war Bestandteil des Konzepts. Im Firstrohr des Rohrschirms wurde die Durchbiegung mittels einer Inklinometer-Messkette in Echtzeit überwacht. Zusätzlich wurden im Tunnel Verformungen der Ausbruchsicherung und vor der Ortsbrust überwacht. An der Oberfläche erfolgte eine Überwachung des Geländes und der Gebäude mittels automatisierter Tachymeter, Schlauchwaagen und händischer Nivellements.
(Tunnel-)Ende gut, alles gut
Insgesamt wurden mehr als 16.000 Laufmeter horizontale DSV-Säulen (bis zu einer Länge von 17,0 Meter), mehr als 1.100 Laufmeter preventergeschützten Drainagebohrungen (bis zu einer Länge von 20,0 Meter) und etwa 1.300 Laufmeter Ortsbrustdrainagen (bis zu einer Länge von etwa 24,0 Meter) hergestellt.
Die ausgezeichnete Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten schaffte die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Durchschlag am 29. Mai 2019. Dies präsentiert sich bei den aufgetretenen Schwierigkeiten als eine beachtliche Leistung – man kam ohne wesentliche Verzögerungen aus.. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bislang rund 43.000 Kubikmeter Gestein, Ton und Schotter aus dem Berg gebrochen, 8.100 Kubikmeter Spritzbeton eingebaut sowie 21 Hochbetonsohlen und 13 Gewölbeblöcke betoniert. Läuft alles Weitere nach Plan, kann der Tunnel noch 2020 in Betrieb genommen werden.
Abschließend kann erwähnt werden, dass das gewählte Konzept zur Ausbruchssicherung sehr geeignet war, um die Setzungen ohne aufwendige Kompensationsmaßnahmen im Baugrund auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Die Erstellung von horizontalen DSV-Säulen zusätzlich zum Rohrschirm ist bei ähnlichen geologischen Verhältnissen auf jeden Fall zu empfehlen, um Stabilitätsprobleme zu lösen und Setzungen zu minimieren.
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eguana verschafft Überblick
Auch für eguana war die Realisierung des Projektes spannend und äußerst erfreulich, durften wir doch eguana SCALES.jetting erstmalig bei Horizontal-DSV im Einsatz sehen. Wie schon in Karlsruhe war es auch hier die Intention, dem Bauherren einen Live-Blick auf den Stand der Arbeiten im Tunnel zu ermöglichen. Realisiert wurde dies mittels eguana Maps und der etappenweisen Visualisierung der Schirme. Durch die Überlagerung von Konstruktionsskizze, Straßenkarte und Objekten, kann anhand des Lageplans schnell und einfach erkannt werden, dass zum einen der Gegenvortrieb von Süden aus zu einem späteren Zeitpunkt begann und das Sicherungskonzept nach Etappe 14 festgelegt wurde. Im Querschnitt sind die DSV-Säulen im Rohrschirm sowie die Ortsbrustsäulen mit den jeweiligen Datensätzen referenziert. Die Farbe gibt Rückschluss auf den Stand der Arbeiten (grün, da alle Säulen fertiggestellt und freigegeben wurden).
Bauleitung und Auftraggeber konnten sich mit einer Chartvorschau direkt die entscheidenden Verläufe der Bohr- und Jetparameter ansehen. Die Protokollierung und Nachweisführung war hierdurch einfach und intuitiv gegeben und man konnte sich den außergewöhnlichen Herausforderungen der Südumfahrung Küssnacht widmen. Merci an Patrick Gabriel und das gesamte Team vor Ort – wir freuen uns auf weitere spannende Projekte mit der Züblin Spezialtiefbau GesmbH!
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Gastautor: Patrick Gabriel
Kann man mit knapp 30 bereits ein umfassender Bauingenieur sein? Patrick Gabriel kann das! Der passionierte Bergsteiger und hochtalentierte Musiker (er spielt sage und schreibe 7 Instrumente – und das keineswegs sündhaft sondern himmlisch gut) war bereits als junger Bub fasziniert vom Bau. Er konnte sämtliche Pläne im zarten Alter von fünf entziffern. Noch während des Studiums an der Technischen Universität Wien, welches er mit Auszeichnung und beinahe in Mindeststudienzeit abschloss, arbeitete er bei zahlreichen Planern und wickelte mit der Züblin Spezialtiefbau GesmbH große Projekte in Irland und der Schweiz ab. Nach dem Studium zog es ihn in die geotechnische Planung, um dort sein Fachwissen zu vertiefen, bis er über Umwege wieder zu Züblin Spezialtiefbau GesmbH zurückkehrte und hier seit 2018 im technischen Innendienst sein planerisches Wissen mit den Erfahrungen aus der Bauabwicklung zu kombinieren weiß. Chapeau! |
Quellenverzeichnis und weiterführende Artikel:
[1] Zimmermann, A.; Schneider, A.: Südumfahrung Küssnacht, Tunnel Burg – Lockergesteinsvortrieb unter anspruchsvollen Bedingungen, Swiss Tunnel Congress 2019
[2] Bote der Urschweiz: Spektakulärer Durchlag im Tunnel für die Südumfahrung, Seite 1; Seite 17, Ausgabe vom 31.05.2019
[3] Freier Schweizer: Ein Durchstich fürs Geschichtsbuch, Seite 2, Ausgabe vom 31.05.2019
Beitragsbild:
Hohe Konzentration bei der Ausführung der Bauhilfsmaßnahmen beim Bauvorhaben Südumfahrung Küssnacht. Credit: Züblin Spezialtiefbau GesmbH