Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde? ‚Unglückliche Pferde liegen unter der Erde‘ müsste es wohl eher heißen. Eines dieser Pferde wurde in seiner letzten Ruhe gestört und von Hendrike Gramatke an die Oberfläche geholt. eguana hat bei der Bauleiterin der Stump-Franki Spezialtiefbau GmbH nachgefragt, was sich sonst noch so im Berliner Untergrund verbirgt – und warum sie trotz der bewussten Entscheidung zur Arbeit in einer Männerdomäne nicht an schönen Schmucksteinen vorbeikommt.
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Hendrike arbeitet zurzeit in Berlin im Injektionsteam mit Düsenstrahlverfahren, kurz DSV oder HDI (Hochdruckinjektion). Bei diesem Verfahren wird mit sehr hohem Druck von rund 350 bar eine Wasser-Zement-Suspension in den Boden gepumpt. „Zur Vorstellung: 1bar sind 10m Wassersäule, 1bar entspricht also dem Druck von 10m tiefem Tauchen“, erklärt Hendrike. „Die Suspension wird mit einem sich rotierenden Gestänge, mit einer oder mehreren Düsen an der Seite, in den Boden injiziert“, während die Injektage langsam in die Höhe gedrückt wird, „wodurch im Regelfall ein zylinderartiger Körper entsteht.“ Dadurch werden Fundamente verstärkt und/oder der Wasserzustrom begrenzt. Wenn man viele Säulen mit Überschnitt aneinanderreiht, entsteht eine DSV-Sohle.
„Wir bohren zunächst einmal in die Tiefe, in der die Sohle beziehungsweise Säule hergestellt werden soll. Mit relativ wenig Druck wird der Weg für das Gestänge freigespült. Wenn man auf einen Widerstand trifft, merkt man nicht, ob es ein Stein oder etwas anderes ist“, so Hendrike. Besonders harte Widerstände wie Stahl bemerke man zwar, aber zwischen ähnlichem Material könne man nicht differenzieren. „Auf der Endtiefe gehen wir dann auf Druck. Da wird dann mit circa 350 bar oder mehr Suspension in den Boden gepumpt und alles an Material ausgespült, was sich im entsprechenden Bereich befindet.“
Ein ehemaliger Chef hat einmal zu ihr gesagt: „Ärzte und Spezialtiefbauer haben eines gemeinsam: Ihre Kunstfehler liegen unter der Erde.“ Aber auch sonst liegt so einiges unter der Erde, wie Hendrike schon mehrmals festgestellt hat.
Knochenarbeit
Beim Ausspülen werden nämlich unterschiedliche Sachen hochgepumpt, einige sind ihr im Gedächtnis geblieben. „Irgendwann war da mal ein Oberschenkelknochen dabei.“ So ein Rücklauf ist nicht besonders aufregend, eine graue Suppe – ein Knochen fiel allein schon wegen der Form auf (Wer kennt auch den Überraschungsmoment beim Essen in fernöstlichen Ländern, wenn einem dann die Knochen in der Suppe entgegenkommen?). Nach einer Spülung war klar – ein Oberschenkel! Diesem folgte eine Rippe, der Rippe folgte ein Beckenknochen. „Da gab es schon ein bisschen Aufregung bei uns“, erinnert sich Hendrike.
Dem Rippenknochen folgten Gutachter – diese wurden allerdings nicht ausgespült, sondern vom Bauherren über den Fund informiert. „Sie haben das Pferd angesehen und datiert, fanden es dann aber nicht so interessant wie wir anderen.“
Manchmal stößt man auf Material, das sich weder durchbohren noch ausspülen lässt. Ist das Hindernis zu hart, bricht der Bohrer ab – also eigentlich genau wie beim Heimwerken in den eigenen vier Wänden. Wenn so etwas passiert, versucht man es ein Stückchen weiter erneut. Wenn das auch nicht geht, wechselt man wieder Stelle, aber einmal ging es auch hier nicht, tiefer zu bohren. „Irgendwann haben wir festgestellt, dass sich das über eine größere Fläche zieht, und haben mit einem Bagger nachgegraben.“ Zum Vorschein kam eine Platte, das Ganze entpuppte sich als Bunker. In Berlin, wo unterirdische Bunker nicht allzu ungewöhnlich sind, „kamen dann Leute von den Berliner Unterwelten vorbei.“ Der Verein befasst sich mit Erforschung und Erhaltung unterirdischer Anlagen, organisiert Touren durch Bunker, setzt sich mit Kriegsrelikten auseinander – „sie haben aber gesagt, dass wir ihn wegreißen dürfen, weil er uninteressant ist.“
„Bei Baugruben in der Mitte von Berlin wird häufig etwas gefunden, das nicht mega gewöhnlich ist“, relativiert Hendrike. „Sprüche wie „ob das jetzt das Bernsteinzimmer ist?“ gebe es zur Genüge. Von Kollegen bekomme man regelmäßig Geschichten von spektakulären Dingen zu hören, die vor Jahren gefunden wurden.
Verwechslungs- und Explosionsgefahr
Neben Bunkern ist es in Berlin als ehemaligem Kriegsschauplatz zum Beispiel keine Seltenheit, auf Kampfmittel zu stoßen, erinnert sich Hendrike an die Geschichte eines Kollegen: „In Berlin muss vor allen Arbeiten im Boden eine Kampfmittelsondierung durch einen Feuerwehrmann ausgeführt werden.“ In dem speziellen Fall habe es zwar eine Sondierung gegeben, die keine Ergebnisse gebracht hatte, aber „als der Bagger der Erdaushub gemacht und die Erde auf den LKW geworfen hat, sah es sehr komisch aus“ – und entpuppte sich als Bombe. In Folge wurden Stadt und S-Bahn gesperrt und die Wahrscheinlichkeit bewertet, mit der der Sprengkörper hochgehen könnte, die Art der Bombe festgestellt, etc. „Die Bombe blieb zunächst auf dem LKW liegen und wurde durch die Gegend gefahren, zu einem Platz für alte Bomben.“
Was bei einer vorhergehenden Sondierung von Form und Magnetbild wie ein Kampfmittel aussieht, muss nicht immer eines sein. In Hendrikes Fall haben sich potenzielle Sprengkörper nach einer vorsichtigen Freilegung bisher immer als Feuerlöscher herausgestellt. Derartige Funde hat sie bereits drei oder vier Mal erlebt. „In Berlin gibt es durch den Krieg viele Sachen, die einfach nur zugeschüttet wurden“, erklärt Hendrike. Feuerlöscher funktionierten zwar in den 40er Jahren noch mit einem anderen Löschmittel (Tetrachlorkohlenstoff wurde bis in die 50er Jahre eingesetzt, bis man herausfand, dass er Nervensystem und innere Organe schädigt – und außerdem zum Abbau der Ozonschicht beiträgt), hatten aber bereits eine sehr ähnliche Form wie heutige.
Brunnen und Bernstein
Weniger spannend sind alte Brunnen. „Sie gehen in eine bestimmte Tiefe und sorgen dafür, dass wir unsere Sohle nicht schließen können“, so Hendrike. Das sei aber mehr lästig als spektakulär. „Letztens haben wir eine alte Batterie ausgebuddelt, aber leider noch kein Diamantvorkommen. Was aber oft vorkommt und was man in Berlin nicht erwarten würde: Wir finden oft Bernstein. Der größte, der gefunden wurde, war so groß wie ein Kinderkopf.“
Bernstein wird zwar nicht in schöner, orange-leuchtender Farbe an die Oberfläche gespült, sei aber dennoch für das geübte Auge leicht erkennbar, weiß Hendrike. Das fossile Baumharz ist immer mit Kohle verbunden, wie sie im Berliner Untergrund vorkommt. Hochgebohrte Kohle sei aufgrund der schwarzen Farbe und der faserigen Struktur nach zwei, drei Mal leicht zu identifizieren. „Da sind die Jungs dann gleich aufmerksamer.“
Foppen oder stoppen
Wenn Hendrike über einen möglichen Bombenfund informiert wird, ist ihre erste Frage „meistens, ob es stimmt oder ob sie mich gerade auf den Arm nehmen – das versucht ständig wer, wir haben ja auch alle Spaß bei der Arbeit.“ Danach wird abgeklärt, wo der Fund gemacht wurde und wer bereits informiert wurde, damit Hendrike die nötigen Schritte einleiten und die zuständigen Stellen informieren kann.
Je nachdem, wie groß der Fund ist und wo er sich im Baufeld befindet, kann man entweder an anderer Stelle weiterarbeiten, oder es kommt zu einem Baustopp – bis die jeweiligen Behörden mit ihren Untersuchungen fertig sind. „Es kommt immer darauf an, wie die Behörden reagieren. Wenn der Fund auf Interesse stößt und sie Archäologen kommen lassen, um ihn zu beschauen, dann dauert es.“ Bei Vorhaben, die für den Baubeginn zunächst einmal ein Okay der Stadtpolitik benötigen, wollen meistens alle, dass es danach so schnell wie möglich gebaut und fertiggestellt werden kann. „Niemand will, dass sich das ewig hinzieht.“ Wenn nicht gearbeitet werden kann, Personal und Geräte aber weiterhin bezahlt werden müssen, könne man sich ausrechnen, wie lange man sich einen Baustopp leisten kann, so Hendrike, die gerade eine Baugrube betreut, die eine Sohle von rund 6.500 Quadratmetern vorsieht.
Ganz schön viel Untergrund, in dem man etwas finden könnte.
Wir drücken die Daumen, dass es doch noch das Bernsteinzimmer wird!
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Liebe Hendrike, danke für deine Zeit und Expertise – und vor allem deine Geduld. Spannend, was bei einem Gespräch über DSV in Berlin so alles zum Vorschein kommt. Bunker, Bomben und Bernstein, damit hab ich wirklich nicht gerechnet.
Über Hendrike Gramatke:
Hendrike Gramatke wurde in Niedersachsen geboren, lebt aber seit Beginn ihres dualen Studiums vor mehr als zehn Jahren in Berlin. Die heute 32-jährige ist nach Abschluss ihres Studiums Bauingenieurswesen direkt zum Spezialtiefbau gekommen. Für die Arbeit in einer klassischen Männerdomäne hat sie sich damals bewusst entschieden. Ihre Liebe zu Jeans und Turnschuhen statt Röcken und High Heels macht sich bezahlt, damit würde sie auf der Baustelle wohl nicht so gut vorankommen.