„Wenn die Biologen schon Probleme haben Arten zu definieren, was erwartest du dann von uns Bauingenieuren?“
Tiefbau, Tunnelbau, Spezialtiefbau, … so viele Kategorien – und es scheint, dass nicht mal die Experten wirklich den Überblick haben. Kein Wunder, dass ich nicht immer ganz durchblicke. Deshalb versuche ich in diesem Beitrag zu klären, was eigentlich was ist.
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Meine Verwirrung fängt dabei an, was all diese Wörter eigentlich als Überbegriff haben.
Was ist das eigentlich alles?
Eine kurze Google-Recherche führt mich via Wikipedia zum Begriff des „Bauwesens“. Bauwesen ist „ein Fachgebiet, das sich mit dem Bauen im engeren Sinne, d. h. mit der Gesamtheit der Vorgänge und Einrichtungen bei der Errichtung von Bauten auseinandersetzt.“
Klingt soweit ganz vernünftig. Der Enzyklopädie zufolge gibt es mehrere Möglichkeiten, das Bauwesen in Bereiche zu unterteilen, zum Beispiel nach dem Arbeitsbereich. Das können etwa Hoch- und Tiefbauch*, Gartenbau, Städtebau, Eisenbahnbau, Bohrarbeiten, Dachdeckungs- und Dachabdichtungsarbeiten oder Maurerarbeiten sein.
Was mir hier als erstes ins Auge sticht (oder eben genau nicht): Der Tunnelbau fehlt! Den findet man, wenn man das Bauwesen nach Art der Bauwerke unterteilt. Nach Bauwerk unterscheidet man etwa zwischen: Hausbau, Brückenbau, Kirchenbau, Krankenhausbau, Wohnungsbau, Schulbau, Straßen- und Wegebau, Tunnelbau und Freianlagen.
Sehr spannend: Es scheint, als hätten wir bisher immer Äpfel mit Birnen verglichen. Oder doch eher Schokolade mit Getreideerzeugnissen? Knifflige Sache …
Wo ist eigentlich der Grundbau geblieben? Dafür brauchen wir noch eine dritte Art der Unterscheidung, nämlich nach Art der Konstruktion. Hier unterscheidet man neben Grundbau zum Beispiel Massivbau, Skelettbau, Fachwerkbau, Fertigbau und Verbundbau aber auch BIM und 3D-Druck.
Hmmm. Who knew?
Meine persönliche Erkenntnis: Die Unterteilung des Bauwesens ist 1. nicht eindeutig und 2. hängt alles davon ab, wie die einzelnen Begriffe eigentlich zu erklären sind.
Wir haben uns bei renommierten Ingenieuren umgehört und festgestellt: das Memo zur Einteilung hat die Beteiligten noch nicht erreicht. Leopold Winkler vom Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Wien beispielsweise würde das Bauwesen so unterteilen: Erdbau, (Spezial-)Tiefbau, Stahlbetonarbeiten, Infrastrukturbau (Tunnel-, Eisen- und Straßenbau), Holzbau, Stahlbau.
Es ist also eine Frage der Entscheidung, wonach ich unterteile. Wenn ich als Beispiel alle unsere Mitarbeiter nehme, kann ich diese nach Art ihres Jobs in Entwickler, Ingenieure, Personalmanager oder Texter unterteilen. Sie lassen sich aber auch in Crossfitfanatiker, Radfahrer, Boxer und Bodybuilder (Verzeihung – Powerlifter) kategorisieren. Und das gleiche gilt für die Kategorien Vollzeitangestellte, Teilzeitbeschäftigte und Geringfügige.
Alles klar, oder?
Um Sewerin Sabew vom Baukonzern Hochtief zu zitieren: „Wenn die Biologen schon Probleme haben, Arten zu definieren, was erwartest du dann von uns Bauingenieuren?“ Recht hat er – aber ich versuche es trotzdem.
Die meiste Verwirrung verursachen diese zwei Begriffe: Hoch- und Tiefbau. Diese unterteilt man zunächst anhand der Geländelinie in Baumaßnahmen, die sich über und solche die sich unter der Erde befinden:
Hochbau | Tiefbau |
– Massivbau – Holzrahmenbau – Skelettbau – Schottenbau – uvm | – Grundbau – Tunnelbau – Kanalbau – uvm |
Und jetzt wird’s knifflig. Was ist mit Bauwerken entlang der Geländelinie?
Wir haben unsere Experten gefragt:
„Straßenbau ist Straßenbau. Brückenbau ist Brückenbau.“ Sewerin Sabew, Pragmatiker
Straßen und Brücken gehören zum „Tiefbau, wenn es nur diese grobe Einteilung gibt.“
Leopold Winkler, ebenfalls pragmatisch veranlagt
Wer hat recht?
Straßen ragen nicht wirklich über die Erdoberfläche hinaus und gehören deshalb zum Tiefbau. Aber bei Brücken wird es schon spannender, denn diese liegen doch deutlich sichtbar oberhalb der Geländelinie, müssten also zum Hochbau gehören. Weil aber der Brückenbau zum Straßenbau und der Straßenbau zum Tiefbau gehört – gehören auch Brücken zum Tiefbau. Klingt seltsam. Ist aber so.
Gegenbeispiel ist der sagenumwobene Keller. Für Leopold Winkler gehört er Keller ganz klar zum Tiefbau, liegt er doch eindeutig unter der Erde. Aber! Erbaut wird der Keller in der Regel im Zuge des Gebäudebaus. Hier gilt also: Keller sind Teil des Gebäudes. Das Gebäude liegt über der Erde und ist Teil des Hochbaus. Also sind Keller Teil des Hochbaus.
Oder?
Ganz so einfach ist es nicht – denn je nachdem, auf welche Quelle man sich bezieht, ändert sich auch der Kellerstatus. Im Endeffekt lässt sich also wohl nur eines mit Sicherheit feststellen:
„Kellerbau ist Kellerbau.“ Wer hat’s gesagt? Sewerin Sabew! (und er hat ja nicht unrecht damit)
Zusammenfassend können wir festhalten: eine klare Einteilung ist genauso unmöglich, wie eine klare Differenzierung zwischen Obst & Gemüse. Der Keller bleibt also die Avocado des Bauwesens und wir wissen, dass wir nichts wissen.
Und der Spezialtiefbau?
Bleibt aber noch eine Frage offen: Was ist jetzt eigentlich Spezialtiefbau? Und wie unterscheidet er sich vom Tunnelbau?
Haltet euch fest – hier gibt es eine wunderbare Trennung, die absolut einleuchtet.
Beim Spezialtiefbau geht es darum, den Baugrund zu verbessern. Es wird also nicht im eigentlichen Sinne etwas gebaut, sondern der Weg bereitet, damit ein Bau überhaupt möglich ist. Neben der Baugrundverbesserung durch diverse Verdichtungen ist auch der allgegenwärtige Kampf gegen Grundwassereintritte ein wichtiger Bestandteil des Spezialtiefbaus.
Während es also beim Spezialtiefbau meistens darum geht, den Boden dichter zu gestalten, macht der Tunnelbau eigentlich das genaue Gegenteil: Hohlräume! Konkreter gesagt: unterirdische Hohlräume.
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Sind noch Fragen offen? Wenn ja, STELLT SIE NICHT MIR!
(Ihr könnt sie aber gerne an unseren persönlichen Baumeister-Meister arthur.worbis@eguana.at richten – er hat meine Fragen in Rekordzeit korrekt beantwortet!)
Und wer sich an dieser Stelle fragt, wo die Tomaten aus dem Titel geblieben sind: die findet ihr im Gemüseregal eures Supermarkts. Und das, obwohl sie botanisch gesehen Beeren sind.
Fun Fact: Die Frage nach dem Status der Tomate wurde 1893 sogar vor dem amerikanischen Supreme Court ausgefochten – der Richter entschied, aufgrund ihrer alltäglichen Nutzung sei sie dem Gemüse zuzuordnen.
* Ha! Wenn das nicht mal ein Freudscher Verschreiber war! Und dabei habe ich gerade erst gegessen …