Wasser (Ab-)marsch! (Credit: Julia Stefaner)
Wasser (Ab-)marsch! (Credit: Julia Stefaner)

Abdichtung im Tunnelbau: Wasser (ab-)marsch!

Wasser ist bekanntlich die Quelle allen Lebens. Wir kommen aus dem Meer (und jeden Sommer zieht es uns dahin zurück), wir bestehen zu 70 Prozent aus Wasser, manche von uns duschen sogar ab und zu (habe ich zumindest gehört). Im Tiefbau drängt sich aber immer wieder die Formulierung „die Quelle allen Ärgers“ auf. Von oben, von unten; durch Grundwasser oder Regenfälle – Wasserzutritte führen zu Problemen, die schon in der Planung kalkuliert und in der Ausführung berücksichtigt werden müssen.

Für unseren aktuellen Blogbeitrag konnten wir unseren langjährigen Projektpartner Sewerin Sabew von der Abteilung Marti Geotechnik der Renesco GmbH als Gastautor gewinnen, der uns Einblicke in die Abdichtung von anhydritführendem Gebirge gibt.

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Bist du noch ganz dicht?!
Herausforderungen bei der Ausführung von chemischen Injektionen zum Abdichten von quellfähigem Gebirge

Im Rahmen des Projektes Stuttgart 21 führt der neu zu erstellende Tunnel Feuerbach von Stuttgarts Hauptbahnhof zum Bahnhof Feuerbach. Der zweiröhrige Tunnel liegt bereichsweise im anhydritführenden Gebirge*. Anhydrit, auch bekannt unter seiner chemischen Bezeichnung Calciumsulfat, ist ein häufig vorkommendes, kristallenes Mineral, dass sich in Gips verwandelt, wenn es mit Wasser in Berührung kommt. Dadurch nimmt es an Volumen zu und dehnt sich aus.

Längsschnitt durch den Tunnel Feuerbach (Credit: Wittke Beratende Ingenieure)

Längsschnitt durch den Tunnel Feuerbach
Längsschnitt durch den Tunnel Feuerbach (Credit: Renesco)

Deshalb wird der Tunnel grundsätzlich trocken aufgefahren (das bedeutet, dass beim Vortrieb jeder Wasserzutritt vermieden wird), durch Sprengungen oder Spannungsumlagerungen kann es aber trotzdem passieren, dass Wasser aus grundwasserführenden Schichten zutritt. Das kann zu einer erheblichen Vergrößerungen des Felsvolumens führen. Aufgrund der dabei auftretenden Quelldrücke kam es in der Vergangenheit bei vielen Tunnel zu erheblichen Schäden in Form von Hebungen sowie zu laufenden Behinderungen und Kosten durch ständigen Sanierungsbedarf.

Abdichtungsmaßnahmen sind aus diesem Grund unbedingt erforderlich.

Abdichtung in drei Schritten

Zu diesem Zweck entwickelte das Ingenieursbüro Wittke Beratende Ingenieure für Grundbau und Felsbau (gegründet 1980 von Prof. Dr. Walter Wittke) ein neuartiges Injektionskonzept. Dieses sieht vor, die Wasserzutritte mittels chemischer Injektionen zu verhindern (anstatt wie bisher darauf zu bauen, dass eine ausreichend dicke Tunnelschale die Quelldrücke abträgt).

Abdichtungsmaßnahmen sind unbedingt erforderlich
Abdichtungsmaßnahmen sind unbedingt erforderlich (Credit: Renesco)

Das Injektionskonzept sieht drei Stufen vor:

  • *) Vorauseilende Injektionen im Zuge der Tunnelerstellung beim Durchfahren wasserführender Schichten (das bedeutet, dass das umliegende Gebiet bereits abgedichtet wird, bevor man den nächsten Tunnelabschnitt vorantreibt)
  • *) Systematische Injektionen zum Abdichten des Anhydrits (bei diesen werden im Anhydrit liegende Tunnelabschnitte komplett abgedichtet, um zu verhindern, dass Wasser entlang der Tunnelröhre und vor allem in der durch den Tunnelbau entstandenen Auflockerungszone in den Anhydrit gelangt)
  • *) Abdichtungsbauwerke (sog. Dammringe), um die Wasserdurchlässigkeit in Längsrichtung des Tunnels zu reduzieren, und zu verhindern, dass Wasser in Tunnellängsrichtung bzw. entlang des Tunnels rinnen kann (Auftretende Probleme werden so auf eine Zone begrenzt und betreffen nicht den gesamten Bau)

Dabei sind während der  Vortriebs- und Innenschalungsarbeiten auf einer Strecke von rund 3.000 Metern ca. 60.000 Bohrungen zu verpressen. Pro Tag sind das bis zu 600 Injektionen, die nicht nur durchgeführt, sondern auch geprüft und dokumentiert werden müssen.

Weiterentwicklung bestehender Technologien

Für diese Maßnahmen braucht es Injektionsmittel, die zum einem schnell und zuverlässig gegen Wasser abdichten und zum anderen eine so geringe Viskosität aufweisen, dass diese in kleineste Klüfte eindringen können. Dies stellt wieder unterschiedliche Anforderungen an die Injektionstechnik. Um diese hohen Anforderungen zu erfüllen, mussten bestehende Technologien weiterentwickelt und neue Wege beschritten werden.

Zum Abdichten der Wasserzutritte wird Polyurethanharz verwendet, da es eine wesentlich höhere Viskosität als Wasser aufweist. Um sicherzustellen, dass der Injektionsdruck im Bohrloch nicht zum Aufreißen des Gebirges führt, wurde ein spezieller Algorithmus eingesetzt und für die Projektbedürfnisse angepasst und weiterentwickelt, der die Förderwiderstände im System berücksichtigt und automatisch den Injektionsdruck regelt.

Zum Abdichten des trocken anhydritführenden Gebirges wird ein Acrylatgel verwendet, da es sich aufgrund der geringeren Viskosität leichter verpressen lässt. Für diese Injektionen wurden spezielle mehrfach verwendbare, pneumatische Packer mit Entlüftung eingesetzt.

Weitere Neuerungen umfassen unter anderem die Entwicklung eines Injektionscontainers** für Acrylatgel-Injektionen sowie den Einsatz hochgenauer Sensorik aus der Prozess-und Pharmaindustrie für exakte Messungen der Mischverhältnisse der Komponenten auch bei geringen Förderraten.

Injektionsanlage für Acrylatgel
Injektionsanlage für Acrylatgel (Credit: Renesco)

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Egal wie dicht du bist, denk immer daran – Goethe war Dichter.

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Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders, als man glaubt***

Pläne sind immer eine schöne Sache und im Bau einfach unerlässlich. Aber was hilft der schönste Plan, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern? Das Leben ist per se die Manifestation von Veränderung – nicht zuletzt auch, indem wir durch Bauwerke unsere Umgebung verändern.

Allerdings ist es nicht nur ärgerlich, sondern vor allem aufwendig, wenn sich im laufenden Betrieb Veränderungen ergeben und Planung sowie Ausführung angepasst werden müssen. Digitalisierung erleichtert es, mit Veränderungen umzugehen und ist als Mittel eines agilen Projektmanagements nicht wegzudenken. 

Daten einfach managen 

Da man nie genau weiß, was die Geologie bringen wird, ist es unerlässlich auf Änderungen in der Injektionsplanung zeitnah reagieren zu können. Ziel der Projektverantwortlichen war daher von Beginn an, modernste Technologien im Bereich des Daten- und Dokumentationsmanagements einzusetzen, um diese Herausforderungen effektiv und effizient zu bewältigen. Um die bis zu 120.000 Injektionen (bis zu 600 täglich) in einem erweiterten Pilgerschrittverfahren**** möglichst effizient auszuführen und gleichzeitig den Dokumentationsaufwand möglichst gering zu halten, wurde deshalb das digitale Injektionsdatenmanagementsystem SCALES eingeführt und baubegleitend optimiert.

Es ermöglicht unter anderem einen Zugriff auf die Injektionsdaten in Echtzeit, automatisierte Massenermittlung, Materialkontrolle, interaktive Visualisierungen, sowie eine exakte und umfassende Dokumentation der Bauvorgänge. Auswertungen über die Bauzeit, KPIs, Aufwands- und Leistungswerte sind ebenfalls integriert.

Als Schnittstelle zu übergeordneten Systemen wie beispielsweise iTwo erleichtert es die Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Mit diesem Daten- und Dokumentationssystem und der Automatisierung von Protokollierung, Steuerung und Abrechnung liegt der Fokus auf fachkundiger Steuerung und Prüfung der Injektionsarbeiten. Hierdurch wird nicht nur wertvolle Zeit eingespart. Der Blick kann auf das Wesentliche gerichtet werden, um Fehler bei Routinetätigkeiten im Arbeitsprozess zu minimieren und die geforderte Qualität zu sichern.

Zur Veranschaulichung, in welcher Dimension hier die Arbeit durch Digitalisierung erleichtert wird: 600 Injektionen pro Tag – man würde täglich (!) mehr als eine übliche Packung Kopierpapier benötigen, um die einzelnen Injektionsprotokolle zu dokumentieren – und dann müsste sie erst noch jemand manuell durchgehen und kontrollieren. Ein enormer Aufwand (von den Papiermengen ganz zu schweigen), der durch das digitale Injektionsdatenmanagement maßgeblich reduziert wird.

Durchführung von Injektionen
Durchführung von Injektionen (Credit: Renesco)

Agile Methoden bei der Umsetzung

Agile Methoden wurden bei vielen Aufgaben des Projektmanagements umgesetzt und ermöglichten es dem gesamten Team, für jedes neu auftauchende Problem eine Lösung zu finden. Die Herausforderung bestand darin, den Fokus auf dem großen Ganzen – einer qualitativ hochwertigen und effizienten Ausführung von Injektionen, unterstützt durch ein umfassendes Dokumentationssystem – zu behalten. So konnte das Projekt Schritt für Schritt entwickelt und zum Erfolg geführt werden.

Der Einsatz von agilen Entwicklungsmethoden trägt wesentlich dazu bei, die geforderte Qualität zu sichern, mit den Ressourcen hauszuhalten, die Umsetzung von Aufgaben schlank und flexibel zu gestalten und wesentlich schneller umzusetzen sowie diverse Risiken zu minimieren. Auf diese Weise wurde (den sich während der Ausführung ständig ändernden Randbedingungen zum Trotz) Zeit gewonnen und Ressourcen eingespart.

Die detaillierte Planung von Arbeitspaketen, die weit in der Zukunft liegen, und deren Anforderungen und Funktionen sich ändern können, noch bevor mit der Entwicklung dieses Arbeitsschrittes begonnen wurde, wurde nicht durchgeführt. Eklatante Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen der Projektverantwortlichen sowie dem tatsächlichen Output wurden auf diese Weise systematisch und kontinuierlich vermieden. Der Erfolg wurde nicht durch bloße Übereinstimmung mit Meilensteinen, Spezifikationen und Lasten/-Pflichtenheft, die zu Projektbeginn erstellt wurden, gemessen, sondern in der Funktionsfähigkeit und Nützlichkeit des Daten- und Dokumentationssystems sowie in dem für die Baustelle entstandenen Mehrwert.

Schritt für Schritt zum Ziel

Philosophisch betrachtet wissen wir weder, woher wir gekommen sind, noch wohin die Reise geht. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Schritt nach dem anderen zu machen und zu sehen, wo es uns hinführt. Praktisch betrachtet haben wir zum Glück eine etwas genauere Vorstellung davon, mit welchen Grundbedingungen wir starten und wo wir am Ende stehen möchten. Aber bei realistischer Betrachtung müssen wir uns eingestehen: „Was hilft ein Plan ist er auch noch so schlau, er bleibt doch immer Theorie“. Also bleibt uns nichts übrig, als uns damit abzufinden, dass Pläne immer nur über eine gewisse Strecke zuverlässig weiterhelfen können.

Somit macht es auch keinen Sinn, klassisch ein Produkt final zu definieren und dieser Definition bis zum Ende zu folgen, komme was da wolle. Viel sinnvoller und erfolgreicher ist es, ein Ziel im Auge zu haben und die Schritte dorthin einen nach dem anderen so zu setzen, wie es die aktuellen Veränderungen erforderlich machen.

Das Ergebnis ist möglicherweise anders als geplant – aber mit Sicherheit besser geeignet, um den aktuell angepassten Anforderungen gerecht zu werden. In Hinblick auf viele Aspekte: Qualität, Zuverlässigkeit, Dauerhaftigkeit – aber auch Zufriedenheit und Glück der Beteiligten!

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It is not the strongest species that survive nor the most intelligent, but the ones most responsive to change.
(Nein, nicht Darwin, sondern Leon C. Megginson)

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Wir bedanken uns bei Sewerin Sabew für seine Expertise und freuen uns auf weitere Zusammenarbeit!

Gastautor: Sewerin Sabew

Sewerin begann seine Ausbildung am Karlsruher Institut für Technologie, wo er seinen Diplomingenieur machte. Nach sieben Jahren als Projektmanager bei der Alpine Bau GmbH hat es ihn 2014 zu Marti Geotechnik verschlagen, wo er mittlerweile als Technical Department Manager tätig ist. Seine Freizeit verbringt er gerne mit philosophischen Betrachtungen und Überlegungen zur menschlichen Psychologie (Denn wenn man den Fokus auf den Menschen legt, kommt das gute Ergebnis von alleine. Oder wie General Patton sagte: „Never tell people how to do things. Tell them what to do, and they will surprise you with their ingenuity.“)

Credit: Sewerin Sabew

 

*Gipskeuper ist eine weit verbreitete Gesteinsschicht, die bei Wasserzutritt quillt. Sie setzt sich aus Tonsteinen und Einlagerungen von Gips-, Anhydrit- und Steinsalzlagen zusammen.
**Ein Projekt, dass auch für das Team von eguana und exges eine noch nicht dagewesenen und spannende Herausforderung war
***Auch bekannt als: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt!“. Aber wir haben recherchiert und festgestellt, dass es bei Willhelm Busch im Gedicht „Plitsch und Plum“ korrekt heißt „Aber hier, wie überhaupt, Kommt es anders, als man glaubt“
****Diese Technik arbeitet ganz nach dem Motto: „Zwei Schritte vor, einer zurück“: Zunächst wird in größeren Abschnitten injiziert, danach geht man an den Anfang zurück und –für den Fall, dass die Geologie weitere Injektionen notwendig macht- injiziert auch in die Zwischenräume. Jeder Injektionsabschnitt wird dabei bis zu elfmal durchfahren, pro Bohrung bis zu drei Injektionen durchgeführt.

 

Für diejenigen unter unseren Lesern, die sich fragen, wieso im Text von anhydriTführendem Gebirge die Rede ist, in unserem wunderschönen Titelbild (an dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön an die kreative Julia) aber AnhydriD steht: Ein Anhydrid ist eine chemische Verbindung, die aus einer Säure oder Base durch Wasserentzug entsteht. Das Wort kommt aus dem griechischen (ánhydros), und da es übersetzt so viel wie „wasserlos“ oder „wasserfrei“ bedeutet, eignete sich der Begriff perfekt für unser Titelbild. Anhydrit wiederum ist ein Mineral, das durch den Kontakt mit Wasser zu Gips aufquellt.

 

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Kategorisiert in eguana.tech

Von Anna Riedler

Als der Orientierungssinn vergeben wurde, hatte sich Anna gerade verlaufen. Umso besser, dass ihre Arbeit mit Baustellen nur peripher zu tun hat – sie würde vermutlich nie wieder zurück ins Büro finden. Stattdessen schreibt die studierte Journalistin fleißig Texte für unsere Homepage, unseren Blog, und literaturnobelpreisverdächtige Kurzbeschreibungen.