Distance Learning, Zoom-Konferenzen, Theater-Besuche über den eigenen Laptop. Durch die coronabedingte soziale Distanzierung und das damit einhergehende Homeoffice hat die Digitalisierung in Österreich einen Schub bekommen, der uns endlich ins 21. Jahrhundert befördert hat. Auch in der Baubranche kommt man nach und nach zu dem Schluss, dass sich durch die Digitalisierung viele Prozesse vereinfachen lassen – und man damit Geld spart.
Das kann Leopold Winkler vom Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement der Technischen Universität Wien (Forschungsbereich Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik) bestätigen. Der Bauingenieur hat seine Dissertation über Digitales Datenmanagement für Injektionsarbeiten geschrieben und herausgefunden: Wer das Bauprozessmanagement digitalisiert, spart Zeit – und folglich eine ganze Menge Geld. Extrabonus: trotz Zeiteinsparung wird die Qualität besser!
Daten sammeln mit SCALES
In einem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekt („Automatisches Qualitätsmanagement für die Bau- und Umwelttechnik“) arbeiteten die eguanas mit dem Forschungsbereich Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik von 2016 bis 2018 an der Entwicklung eines drahtlosen Monitoringsystems, das den gesamten Arbeits- und Herstellungsprozess von Injektionsbaustellen erfassen sollte, adaptierbar an die individuellen Bedürfnisse der Benutzer. Die Messwerte sollten dabei nicht nur gesammelt und dargestellt werden, sondern auch Aussagen über den Baufortschritt ermöglichen.
„Wir haben das Baudatenmonitoring-Projekt von eguana SCALES wissenschaftlich begleitet“ erklärt Winkler. „Daraus hat sich dann meine Dissertation ergeben. Einerseits habe ich die Entwicklung der Arbeit wissenschaftlich festgehalten, andererseits den Mehrwert für die Baustelle beziehungsweise für den Dokumentationsprozess evaluiert.“ Im Zuge der Forschungsarbeit „ist herausgekommen, dass man durch digitales Datenmanagement auf einer Baustelle Klarheit über Baustellenprozesse bekommt und diese auch im täglichen Baubetrieb optimieren kann“, führt Winkler weiter aus.
Mehr Vertrauen in digitale Dokumentation erforderlich
Eine von ihm durchgeführte Umfrage mit Entscheidungsträgern ergab eine Divergenz in der Beurteilung digitalisierten Datenmanagements. Während sich Bauherren durch die Nutzung eine Ressourcenersparnis erwarten, steht für Bauunternehmer der Zeitgewinn an erster Stelle. Obwohl sich aber einerseits 87 Prozent der Befragten positiv gegenüber digitalisiertem Datenmanagement aussprachen, schenkten gleichzeitig nur 9 Prozent der Umfrageteilnehmer diesem mehr Vertrauen als händischer Dokumentation.
Ein genauer Blick auf die beiden Pilotprojekte, die im Rahmen der Arbeit untersucht wurden, zeigt, dass besonders der erhoffte Zeitgewinn durch mehr Vertrauen in ebenjenes digitalisierte Baudatenmanagement profitieren würde. „Basierend auf zwei unterschiedlichen Projekten habe ich ermittelt, welche Vorteile sich im Vergleich zum alten, tradierten Prozess ableiten lassen“, so Winkler: „Die resultierende Zeitersparnis des nicht-gewerblichen Personals in dieser Feldstudie, die in einem Vergleichszeitraum von 23 Monaten betreut wurde, ergibt rund 122 Stunden pro Monat.“ Außerdem konnte der Aufwand der täglichen Dokumentationsprozesse um 68 Prozent, jener der monatlichen Aufmaßerstellung sogar um ganze 83 Prozent reduziert werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Systeme von allen Beteiligten angenommen werden. Nur so können sie ihre volle Wirkung entfalten.
Aus den gesammelten Datensätzen der über 120.000 Injektionen, die im Untersuchungszeitraum aufgezeichnet wurden, konnte Winkler ein Echtzeit-Bauzeitprognosemodell entwickeln, mit dem sich vorhersagen lässt, wie lange das Bauverfahren noch dauern wird und wie stabil der Bauprozess ist. Das Modell kann in digitale Datenmanagementsysteme implementiert werden und eignet sich neben Injektionsprozessen auch für andere Verfahren.
Klingt gut – aber wie weiter?
Was nicht nur die wissenschaftliche Arbeit und die damit einhergehenden Feldstudien klar beweisen ist: Digitalisierung zahlt sich – wortwörtlich – aus. Und zwar für alle Beteiligten. Wie bei so vielen Dingen gilt es aber, weiter zu denken und vorauszuplanen, welche Veränderungen sich aufgrund des digitalen Baudatenmanagements noch ergeben werden (oder sollten).
Hier sieht Winkler zwei wichtige Punkte, die für zukünftige Projekte berücksichtigt werden sollten.
KPI’s messen und automatisch auswerten
Ein wichtiger Faktor sind KPIs (key performance indicators), die grundsätzlich als Messeinheit zur Zielerreichung unterschiedlichster Projekte zur Anwendung kommen. Um aber zu wissen, wie weit die Realisierung eines Ziels bereits erreicht wurde, müssen die zugehörigen KPIs nicht nur vorab definiert, sondern vor allem auch tatsächlich gemessen und automatisch ausgewertet werden.
Im Rahmen der Forschungsarbeiten und bei der Entwicklung von eguana SCALES waren KPIs von Anfang an integriert, der Fortschritt der einzelnen Kennzahlen ist im System gut zu verfolgen. Daraus ergibt sich für Winkler weiterer Forschungsbedarf, denn „im speziellen Fall der Injektionstechnik müssten daher die Möglichkeiten der alternativen Vergütung aufbauend auf dem vorgestellten Konzept der KPIs vollumfänglich untersucht werden.“
Bei vorab klar definierten Grundkennzahlen wäre überdies anzudenken, die grundlegenden Verträge von Projekten so anzupassen, dass ebendiese Kennzahlen Ausgangsbasis einer für alle Seiten fairen und transparenten Vergütung sind.
Vorstellbar wäre, dass zu Ausführungsbeginn eine Personal- und Geräteeinsatzplanung sowie Leistungskennzahlen partnerschaftlich festgelegt werden und darauf aufbauend ein Bonus-Malus-System in der Ausführung aufgebaut wird.
Tunnelvortrieb dokumentieren
Das laut Winkler zweite, vielversprechende Handlungsfeld für zukünftige Weiterentwicklung liegt in der Dokumentation des konventionellen Tunnelvortriebs. Dabei wäre es möglich, den in der Dissertation beschriebenen „sequenzierten Prozessvorschlag“ auf die sogenannten Zyklusdiagramme anzuwenden und bereits vorhandene Prozesszeiten in das Modell zu integrieren.
Dokumentiert werden die Arbeitsprozesse der Vortriebsmannschaft aktuell händisch, um dann manuell in digitale Systeme eingegeben zu werden – mit allen sich daraus ergebenden Fehlerquellen und Redundanzen. Sind die Daten digital erfasst, ergibt sich daraus die Möglichkeit, das Ist am Bau exakt festzustellen und mit dem Bau-Soll zu vergleichen.
Für eine sinnvolle Umsetzung braucht es aber neben umfangreichen Feldtests vor allem eine Freigabe der Schnittstellen unterschiedlicher Gerätehersteller, um Daten direkt digital erfassen und verarbeiten zu können.
Damit es in die entsprechende Richtung weitergeht, braucht es in Zukunft mehr Vertrauen in die Digitalisierung von Systemen und die Bereitschaft der Bauherren, dahingehend zu investieren. Unternehmen müssten Projekte nicht hierarchisch in Ausbauorganisationen durchdenken, sondern in Prozessen, wünscht sich Winkler. „Eine erfolgreiche Bauausführung lebt durch den intensiven Datenaustausch und Kommunikation aller Interessensvertreter. Die Digitalisierung gibt uns die Möglichkeit, diese Schnittstellen zu verbessern und zu automatisieren. Dies geht jedoch nur, sofern Unternehmen bereit sind, transparent zu arbeiten.“
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Über Leopold Winkler:Dipl.-Ing. Dr.techn. Leopold Winkler studierte Bauingenieurwesen an der TU Wien sowie an der Politécnica de Madrid. Er arbeitete für unterschiedliche Bauunternehmen, bevor er am Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement bei Prof. Goger promovierte. In seiner Forschung als Post-Doc an der TU Wien beschäftigt er sich mit digitalem Datenmanagement auf Baustellen und den verbundenen Prozessänderungen. Für Unternehmen und Start-ups betreut er die Evaluierung von Digitalisierungspotentialen und die Implementierung von digitalen Baustellentools. Gutachterliche Tätigkeiten zur Bauabwicklung und zum Claim-Management komplettieren seine Erfahrung. |