Wir haben uns in den letzten Monaten dem Thema U-Bahn von mehreren Perspektiven angenähert. Vom historischen Siegeszug bis hin zu den technischen Herausforderungen des tatsächlichen U-Bahnbaus war da schon allerlei dabei. Und da es mit Reisen leider immer noch eher düster ausschaut, wollen wir euch heute auf eine virtuelle Fahrt mit der Wiener U-Bahn mitnehmen – die hat nämlich noch einiges mehr zu bieten als ein hervorragend ausgebautes Streckennetz, moderne Züge und kurze Intervalle …
Nenn mir deine Studienrichtung – ich sag dir, warum die Wiener U-Bahn für dich spannend ist!
Kunst?
Kein Problem, denn die Wiener U-Bahn bringt dich nicht nur zu den vielen Museen der Stadt. Schon die Stationen selbst sind für Kunstinteressierte eine Reise wert. Kleine Kostprobe gefällig?
Am Westbahnhof findet sich beispielsweise die Kunstwand „Ca. 55 Schritte durch Europa“ von Adolf Frohner, eine bildnerische Assoziationen zur Kulturgeschichte Europas seit Christi Geburt.
Wer historisch gerne schon etwas früher ansetzen möchte, fährt ein paar Stationen weiter zum Volkstheater, wo Mosaike von Anton Lehmden die „Entstehung des Universums aus dem Urknall“ und „Entwicklungsgeschichte der Natur auf Erden“ abbilden. Also beim Warten auf den nächsten Zug gern mal das Handy stecken lassen und schauen, was sich in ein paar Metern Höhe über den Gleisen so alles tut.
In Erdberg finden sich die Kunstwände „Stadtauswärts“ und „Stadteinwärts“ von Peter Atanasov, in der Landstraße die „Passage West“ mit in Email gebrannten Graffiti von Oswald Oberhuber und in der Johnstraße das Emailbild „k. k. Frühjahrsparade auf der Schmelz“ nach Felician von Myrbach (1898).
Technik?
Wir empfehlen auf jeden Fall einen Stopp in der Station Schweglerstraße, wo man auf dem Weg zum Technischen Museum nicht nur allerlei technische Erfindungen bewundern kann (so hängen bei den Aufzügen etwa eine Mercury-Raumkapsel, ein Mini-Cooper oder ein Sportflugzeug von der Decke), sondern auch noch an den Portraits und Biografien berühmter Naturwissenschafter und der „Tele-Archäologie“ des Komponisten, Bildhauers und Videokünstlers Nam June Paik aus dem Jahre 1994 vorbeikommt. Dabei handelt es sich um eine Skulptur aus alten Ziegeln mit darin eingelassenen elektronischen Bauteilen.
Aber auch die U2 Station Stadion ist aus technischer Hinsicht bemerkenswert, gibt es doch hier ein elektronisches Zähl- und Wiegesystem mit Echtzeit-Auswertungen, um die Personenströme zu messen. Spannend besonders bei Großereignissen wie der Fußball EM. Und eventuell auch, um das Durchschnittsgewicht eines Fahrgastes zu errechnen?
Erwähnenswert sind in technischer Hinsicht auch noch die Rolltreppen der Wiener U-Bahn, die mit imposanten 2,34km/h zu den schnellsten in Europa gehören. Zum Vergleich: nur die Prager U-Bahn hat mit 3,24km/h noch schnellere Rolltreppen, in Deutschland fährt man mit vergleichsweise gemütlichen 1,8km/h.
Geschichte?
Abgesehen von der durchaus spannenden Entstehungsgeschichte der Wiener U-Bahn, über die wir ja schon berichtet haben, liegt es in der Natur der Sache, dass man beim Graben, vor allem im urbanen Raum, immer wieder spannende Dinge findet.
In Wien hat man aus der Not eine Tugend gemacht und so finden sich in mehreren Stationen der U-Bahn spannende Relikte. In die Station Stubentor sind beispielsweise archäologische Ausgrabungen integriert, darunter rund 20 Meter der Renaissancestadtmauer und Fundamentteile des Stubentors.
Am Stephansplatz befindet sich außerdem die unterirdische Virgilkapelle, die in den 70ern beim U-Bahnbau entdeckt wurde. Der Geheimtipp befindet sich praktisch direkt unter dem Stephansdom und ist seit 2015 wieder für Besucher geöffnet.
Natürlich sind wir in Wien immer bemüht, mit unserer U-Bahn Geschichte zu schreiben – so fährt z.B. die U-Bahn seit 2010 24/7 durch – wenn man von einer Corona-Pause absieht.
Aber genug der (semi-)historischen Fakten, wir gehen weiter zur nächsten potenziellen Studienrichtung, und zwar der …
Architektur
Was keiner für möglich halten wird, der den einzigartigen Charme so mancher der Wiener U-Bahn-Stationen erlebt hat: Es gab 1970 eigens einen Architekturwettbewerb. Das Siegerteam wurde mit der Gestaltung der Stationen für die Linien U1 und U4 beauftragt. Man möchte nicht wissen, wie die nicht so guten Vorschläge ausgesehen haben … Die 70er Jahre sind in punkto Geschmack ein Kapitel für sich. Der optische Vergleich mit dem von Otto Wagner für die Wiener Stadtbahn entwickeltem Gestaltungskonzept ist … schmerzhaft. Ausgesprochen schmerzhaft. Aber immerhin wurden die meisten der Otto-Wagner-Bauten unverändert ins U-Bahn-Design integriert.
Praktisch an den geschmacksverwirrten Stationen: Alle Wände sind mit einheitlichen Paneelen versehen, die sich im Bedarfsfall schnell und einfach ausgetauscht werden können. Klarer Fall von „Form follows function“.
Wirklich erwähnenswert aber ist, dass anders als in anderen Großstädten die Fahrgäste nicht „geleitet“ werden. Es gibt weder getrennte Ein- und Ausgänge, noch erfolgt der Zu- und Ausstieg über getrennte Bahnsteige. Ein Hoch an dieser Stelle an die Wiener – denn es funktioniert. Meistens …
Um das subjektive Sicherheitsbefinden zu steigern, wird übrigens auf optische Akzente gesetzt – wie beispielsweise die helle Gestaltung und Beleuchtung der Bahnsteige – während die Gleise sehr dunkel, „unbearbeitet“ und uneinladend wirken. Klingt logisch? Ist aber anscheinend nicht selbstverständlich und als Gestaltungssystem unter dem Namen „Wiener System“ bekannt. Da macht sich doch glatt ein bisschen Stolz bemerkbar.
Was, wenn dein Herz aber mehr für Zahlen als für architektonische Funfacts schlägt?
Mathematik/Statistik!
Zusätzlich zum regulären Netz, das stolze 83 Kilometer (und über 100 Haltestellen) umfasst, gibt es mehrere Kilometer „Betriebsstrecke“. Die U-Bahn ist schnell und das Netz weitreichend. Die Wiener und Wienerinnen legten vergangenes Jahr mehr als ein Drittel ihrer Wege mit den Öffis zurück (gleich viel, wie zu Fuß. Mit dem Auto sind es nur 27 Prozent).
Kein Wunder eigentlich, dass 2020 bereits zum vierten Jahr in Folge mehr Menschen eine Jahreskarte besitzen als ein Auto. 2019 wurden 852.000 Jahreskarten ausgestellt*. PKWs im Privatbesitz gibt es um 143.000 weniger. Noch dazu ist die Jahreskarte mit einem Euro pro Tag ausgesprochen billig.
Die Wiener Verkehrsmittel bewegen sich außerdem mit 2,40€ für eine beliebig lange Fahrt in eine Richtung gut im europäischen Durchschnitt. Eine einfache Fahrt mit der Pariser Metro kostet beispielsweise 1,90€, in Berlin zahlt man je nach Zone und Strecke zwischen 2,90€ und 3,60€, in Madrid zwischen 1,50€und 3,00€. Prag liegt mit knapp 90 Cent unter dem Durchschnitt. Wer London erkunden will, legt dafür allein für eine Einzelfahrt in der Kernzone 5,00€ auf den Tisch.
Und sonst?
Sonst möchten wir festhalten, dass wir bei eguana überzeugte Öffi-Fahrer sind – eine kurze Hochrechnung zeigt, dass wir über 80 Prozent der Fahrten in unser Büro mit der U-Bahn machen. Ein Glück, dass wir mit Job-bzw. Klimaticket ausgestattet nicht lange überlegen müssen. Eine Fahrt mit den Öffis lohnt sich immer.
Abgesehen davon, dass es höchst spannend sein kann, die Mitfahrenden zu beobachten (und mitunter auch ein gutes Training für mehr Geduld), bieten auch die Anzeigetafeln in Wien immer wieder unterhaltsame Abwechslung und ein Gemeinschaftsgefühl – wurden wir z.B. nach Ende des ersten Lockdowns in allen Stationen mit „Willkommen zurück“ begrüßt.
Anlässlich der Diskussion um die regenbogenfarbene Kapitänsbinde des deutschen Nationaltorwarts Manuel Neuer veröffentlichten die Wiener Linien auf sozialen Medien ein Bild in Regenbogenfarben mit der Aufschrift „Wir fahren mit dem Regenbogen. Es tut nicht weh, liebe Uefa“
Und zum 20. Kinogeburtstag von „Harry Potter“ am 22. November fuhren die Züge Abseits ihrer eigentlichen Route und steuerten Hogwarts an!
Bis nach Hogwarts fahren die Züge leider in der Realität (noch) nicht – das Schienennetz wird aber aktuell um eine Linie erweitert (beziehungsweise wird die Lücke zwischen den Linien 4 und 6 endlich gestopft) – ein Projekt, bei dem wir mit Stolz dabei sind!