Wer im Tunnelbau arbeitet, weiß: das ist ein Knochenjob. Vor allem, wenn es darum geht, Stauchelemente mit 80 Kilogramm Gewicht über Kopfe einzubauen. Manuel Entfellner hat gesehen, wie sich die Arbeiter im Tunnel damit abmühen – und beschlossen, etwas zu verändern. Wir haben uns mit dem Implenia-Bauleiter über seine neuartigen Stauchelemente, fehlende Fehlerkultur und darüber unterhalten, was es braucht, um den Tunnelbau ins 21. Jahrhundert zu bewegen.
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„Auf der Baustelle bin ich täglich im Tunnel und habe jeden Tag gesehen, was das für eine schwere Arbeit für die Mitarbeiter ist. Stauchelemente über Kopf einzubauen ist wirklich ein Knochenjob“, weiß Manuel Entfellner, der als Bauleiter im Tunnelbau arbeitet. Bei schlechten geologisch-geotechnischen Verhältnissen mit hohen Verschiebungen werden Stauchelemente eingesetzt, welche wie ein Puffer wirken. Sie nehmen „Dehnungen vom Gebirge auf, damit der Spritzbeton keine Risse bekommt.“ Regulär aus Stahl wiegt ein einzelnes Element immerhin rund 80 Kilogramm. Schweiß und Rückenschmerzen sind vorprogrammiert, die Verletzungsgefahr hoch. Dennoch sind sie bei schwierigen geologisch-geotechnischen Bedingungen unerlässlich.
Handlicher, leichter und stabiler
Das muss auch anders gehen, dachte sich Entfellner. „Wenn ich jeden Tag ein Element mit 80 Kilo aus dem Kreuz irgendwo raufheben muss, ist das ergonomisch nicht vorteilhaft.“ Das Gewicht musste also reduziert werden. In einem kleinen Labor auf der Baustelle begann er, sich mit alternativen Materialien auseinanderzusetzen, und entwickelte schließlich quaderförmige Stauchelemente aus Polystyrol, um die Stahlkolosse zu ersetzen, die aktuell gang und gäbe sind. Durch die Kombination aus dem neuen Material und der einfachen Form sind die Elemente deutlich stabiler als bisher, und das bei lediglich einem Viertel des Gewichts.
„Wieso ist mir das nicht eingefallen?“
Nicht alle waren vom Erfolg des Projekts überzeugt. „Es hat viele kritische Stimmen gegeben, auch intern“, erinnert sich Entfellner. „Es hat keiner geglaubt, dass ein Produkt mit so geringem Gewicht so großen Lasten standhalten kann. Ein Element muss 4.000 Kilonewton (also über 400 Tonnen) tragen. Das kann man sich fast nicht vorstellen. Man denkt, Beton und Stahl halten das vielleicht aus, aber ein „Plastik“-Element?“
Beim Baudienstleistungsunternehmen Implenia hatte Entfellner zwei Unterstützer der ersten Minute, die seine Forschung unterstützten: Österreich-Geschäftsführer Rudolf Knopf und Helmut Wannenmacher, Senior Engineer (und Autor unseres Blogbeitrags über „Künstliche Intelligenz im Tiefbau“).
Die Zweifler sagen mittlerweile nichts mehr, denn das Produkt hat sich bewährt und wird von den Mitarbeitern vor Ort gerne eingesetzt. „Es ist eine Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter, es ist eine technische Errungenschaft und – was mir besonders gefällt – es ist einfach eine sehr simple Erfindung. Jeder greift sich an den Kopf und denkt: Wieso ist mir das nicht eingefallen?“
Wieso tatsächlich bisher niemand daran gedacht hat, ist (leider) leicht erklärt: „Der Tunnelbau ist eine sehr konservative Branche. Wenn man mit Ideen kommt, wird man sehr häufig kritisch beäugelt. Das ist nicht vergleichbar mit Injektionen oder Datenmanagement, im Tunnelbau bewegt man sich seit den letzten dreißig Jahren ungefähr auf dem gleichen Niveau. Es hat sich zwar maschinentechnisch verbessert, aber stützmitteltechnisch hat sich in dieser Zeit wenig getan“, so Entfellner.
Mehr Offenheit
Um den Tunnelbau auch in diesen Punkten ins 21. Jahrhundert zu befördern, bräuchte es dem Salzburger zufolge vor allem Zweierlei: andere Ausschreibungs-/Vertragsmodelle und eine Kultur, in der offen über Fehlschläge geredet wird.
„Mit dem Ausschreibungs- und Vertragsmodell, das man in Österreich hat, ist es schwierig, Innovationen gut hineinzubringen“, wünscht sich Entfellner mehr Offenheit für neue Modelle. Das Problem: Auf die Planung eines Bauprojekts folgt eine Ausschreibung, die so konkret formuliert ist, dass genau so gebaut werden soll, wie geplant wurde. „Auch, wenn es technisch vielleicht Sinn machen würde, ist es bauvertraglich sehr schwierig, sich auf Abweichungen zu einigen. Hier sollten die ausführenden Baufirmen möglichst frühzeitig eingebunden werden, um Alternativvorschläge berücksichtigen zu können.“
Dabei ist kein Tunnel wie der nächste, keine zwei Störungszonen genau gleich, und Einheitslösungen selten zielführend. „Jeder Tunnel ist ein Unikat, weil die geologischen Bedingungen anders sind. Es bräuchte mehr Offenheit in den Fachgremien. Wenn man an irgendeinem System scheitert –was beim Tunnelbau in Störungszonen des Öfteren vorkommt -, dann wird das stillgeschwiegen und so gut wie nie publiziert. Aus Fehlern lernen funktioniert so nicht, jeder beginnt von neu und macht die gleichen Fehler nochmal, die auf anderen Baustellen oder in anderen Teilen der Welt bereits gemacht wurden.“ Über Erfolge redet jeder gern, weiß Entfellner – aber worüber wir reden sollten, seien die Fehlschläge.
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Über Manuel Entfellner:
„Fels ist meine Materie“, sagt Manuel Entfellner über sich selbst. Von klein auf war dem begeisterten Kletterer, Bergsteiger und Hobbygeologen klar: Auch beruflich wird es in Richtung Bau gehen. Einem Abschluss an der HTL Bautechnik Salzburg ließ er zunächst einen Bachelor in „Bauingenieurwissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen“ folgen und spezialisierte sich im anschließenden Master auf Tunnelbau.
Sämtliche Bildcredits liegen bei Implenia