Spatenstich am Matzleinsdorfer Platz
Credit: Johannes Zinner

U2 Matzleinsdorfer Platz: Baustelle der Superlative

„Es ist noch größer, noch spektakulärer, eigentlich ist das komplette Fachbuch mit einer Baustelle abgedeckt.“ Martin Kronberger, Projektleiter der Wiener Linien, ist für die Bauarbeiten zur Verlängerung der Linie U2 zuständig. Was die Großbaustelle so besonders macht, erzählt er im Beitrag.

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Am Matzleinsdorfer Platz an der Grenze zwischen 5. und 10. Wiener Gemeindebezirk befindet sich der Startpunkt des Bauloses U2-18, an dem 2024 die Tunnelbohrmaschine Richtung Rathaus starten wird, um die U-Bahn-Linie U2 zu verlängern. Dabei kommt so ziemlich alles zum Einsatz, was sich ein Bauingenieur wünschen kann. „Wenn ich durch die Fachbücher blättere und lese, was es an Spezialtiefbaumaßnahmen gibt, gibt es nicht viel, was wir hier am Matzleinsdorfer Platz nicht haben.“ Baustellenherz, was willst du mehr?

Visualisierung der Station (Credit: Architekt Mossburger/OLN)

Bis 2028 soll die Linie U2 von der Station Rathaus bis zum Matzleinsdorfer Platz (und in einer weiteren Ausbaustufe bis zum Wienerberg) verlängert werden. Die Tunnelbohrmaschine soll sich dazu ihren Weg von der Triester Straße südlich des Matzleinsdorfer Platzes bis zum Augustinplatz in der Nähe des Rathauses bahnen. Vorarbeiten dazu wurden deshalb bereits seit 2018 gemacht, damit rechtzeitig alles bereit ist, um die riesige Maschine in Einzelteilen einzuheben und im Schacht zusammenzubauen. „Die Kollegen auf den anderen Abschnitten haben also etwas mehr Zeit als wir“, so Kronberger.

Visualisierung der Station (Credit: Architekt Mossburger/OLN)

Zeitlich liegt das Team der Wiener Linien gut im Plan, Störungen seien „aufgrund der vielen Erkundungsbohrungen unwahrscheinlich, aber man weiß nie, was auf einen zukommt.“ Im innerstädtischen Bereich sind Einbauten wie Wasserleitungen, Rohre und Kabel genau dokumentiert. Trotzdem treffe man „immer irgendwo etwas an, das auf keinem Plan eingezeichnet war.“

Fund im Untergrund

Aus diesem Grund wird das Projekt von Anfang an von der Wiener Stadtarchäologie begleitet. „Es gibt gewisse Bereiche, wo die Archäolog*innen mit Funden rechnen. In den oberen Schichten von drei bis vier Metern, wo wir den Aushub machen, sind sie deshalb immer dabei. Hier wurde Material von Tonkrügen etc. gefunden.“ In 20 bis 25 Metern Tiefe wurden im Tunnelvortrieb Knochenbruchstücke von Wirbeltieren gefunden, sowie von Geologen auf bis zu 11 Millionen Jahre datierte Muscheln und Schneckenhäuser. An der Ortsbrust lassen sich von Geologen die diversen Einschlüsse gut erkennen. Dabei sind die Experten eigentlich aus einem ganz anderen Grund bei den Grabungen und Bohrungen vor Ort, nämlich um das Verhalten des Baugrundes zu prognostizieren, festzustellen, ob mit Wassereintritten zu rechnen ist u.Ä.

Bei fertiggestellten Stationen der U-Bahn finden sich oft nicht nur Kunstwerke, sondern auch herausragende archäologische Funde wie die Virgilkapelle beim Stephansplatz.

Eine wie keine

Trotz seiner jahrelangen Erfahrung ist diese Baustelle anders als alle anderen, an denen Kronberger bisher gearbeitet hat. Und das nicht nur aufgrund der Größe der Baustelle, sondern aus einer Vielzahl von Gründen.

Was den U-Bahnbau von anderen Großprojekten wie beispielsweise dem Semmering Basistunnel unterscheide, sei die aus der städtischen Lage resultierende angrenzende Bebauung, so Kronberger. Ein wichtiger Punkt sei außerdem der Verkehr, der so wenig wie möglich gestört werden soll. „Wenn ich zwei Fahrspuren sperre, um ein Baugerät dort hinzustellen, sieht man eine starke Beeinträchtigung im Verkehr – für ein Gerät mit 120 Tonnen sind aber zwei Fahrspuren nicht viel. Auf Baustellen im Hochgebirge hat man mehr Spielraum“, betont Kronberger. Aus diesem Grund wurde beispielsweise am Gürtel eine Rampe errichtet, um „selbst in der Bauphase den Verkehr aufrecht zu erhalten.“

„Wir bauen außerdem direkt unter der Station der ÖBB, deren Gleise Richtung Hauptbahnhof gehen – also die höchstrangige Verkehrsverbindung der ÖBB, die nur im Millimeterbereich Bewegungen verkraften.“ Mit Vermessungssystemen werde deshalb Tag und Nacht jede Bewegung genau beobachtet.

Ice, ice, Baby

Der Boden im Bereich der geplanten Tunnelröhre wird zunächst vereist, um ihn zu sichern – vor Wasserzutritten, aber besonders um die Lasten ableiten zu können. Auf einer Strecke von 120 Metern wird der Boden um die zukünftige Tunnelröhre herum auf minus zehn Grad aufgefroren.

Vereisung am Matzleinsdorfer Platz (Copyright Wiener Linien GmbH & Co KG)
Vereisung am Matzleinsdorfer Platz (Copyright Wiener Linien GmbH & Co KG)
Vereisung am Matzleinsdorfer Platz (Copyright Wiener Linien GmbH & Co KG)

Copyright Wiener Linien GmbH & Co KG

Dann wird gebaggert und die Tunnelaußenschale hergestellt, bis die Röhre lang genug ist für die gigantische Bohrmaschine. Diese wird Stück für Stück hinuntergelassen und zusammengebaut. Denn fertig zusammengebaut wäre die Maschine mit ihren gut 50 Metern Länge und einem Durchmesser von 6,5 Metern viel zu groß für den Schacht.

Vortriebsarbeiten am Stationstunnel für Gleis 2 (Credit: Wiener Linien GmbH & Co KG)

Vortriebsarbeiten am Stationstunnel für Gleis 2 (Credit: Wiener Linien GmbH & Co KG)

Und erst dann startet die Bohrmaschine und bahnt sich ihren Weg zur nächsten Station, der Reinprechtsdorfer Straße, und darüber hinaus.Ab diesem Punkt gehen die Grabungsarbeiten schneller voran, da der Vortrieb kontinuierlich erfolgt und nicht mehr zur Sicherung und für den Abtransport von Schutt unterbrochen werden muss. Ist die erste Strecke geschafft, wird der Maulwurf in seine Einzelteile zerlegt und zurück zum Matzleinsdorfer Platz transportiert, von wo er sich erneut Richtung Rathaus gräbt (bedenke: damit die U-Bahn in beide Richtungen fahren kann, braucht es zwei Tunnelröhren).

Rollt den roten Teppich aus!

Um Mikrobewegungen ausgleichen zu können, kommt bei der Baustelle eine innovative Technologie zum Einsatz. „Man muss sich vorstellen, dass wir einen Teppich unter die ÖBB gelegt haben. Unten ist die Tunnelröhre, oben die ÖBB und dazwischen haben wir mit Einzelbohrungen einen „Teppich“ hergestellt, wo man Mörtelflüssigkeit in den Boden injiziert und im Fall einer Setzung nachinjizieren und wieder heben kann. Und mit dem dranhängenden Messsystem erkennt man, ob das Bauwerk darüber in Schieflage ist.“ Keine Sorge, die Rede ist hier nicht von Neigungen wie beim Schiefen Turm von Pisa, sondern von wenigen Millimetern.

Ein "Teppich" an Manschettenrohren am Matzleinsdorfer Platz gleicht Bewegungen im Milimeterbereich aus

Darstellung der Manschettenrohre am Matzleindorfer Platz

Allein am Matzleinsdorfer Platz wurden dafür mehr als 120 Manschettenrohre verbaut. Dies ergibt über 6300 mögliche Injektionsstellen. Die an kritischen Stellen montierten Schlauchwaagenmesspunkte überwachen durchgehend die Bodenbewegungen. Wird eine vorab festgelegte Kennzahl überschritten, ermittelt eguana SCALES automatisch einen Handlungsvorschlag, in welchem die zu beaufschlagenden Manschetten, die Menge und das Material angegeben werden. Dazu müssen aus den möglichen Injektionsstellen über definierte Einflussflächen die verwendbaren Manschetten ermittelt werden.

Digitale U-Bahn

Der Betrieb der U5 soll vollautomatisiert sein, mit fahrerlosen Zügen und automatischen Bahnsteigtüren. „Diese ganze Automatisierungstechnik ist sicher der große Schritt in die Zukunft“, ist sich Kronberger sicher. Aber auch beim Bau der U2 werde bereits viel digitalisiert. Mit der Plattform eguana SCALES „werden die Visualisierung und die Verarbeitung von Daten auf eine komplett neue Ebene gehoben, im Vergleich mit dem Bau der U1 zum Beispiel. Schon damals gab es enorm viele Daten, aber die sind jetzt nochmal exorbitant gestiegen. Jetzt geht es darum, wie man sie erfassen und interpretieren kann, es geht um die Aufarbeitung der Information.“

Digitalisierung sei aber nicht immer praktikabel, deutet Kronberger auf einen großen Papierplan an der Wand seines Büros. „Wenn ich auf eine Baustelle gehe, falte ich den Plan aus und sehe sofort, wo was ist. Das Analoge hat durch die Größe schon seine Vorteile. Wenn ich aber den korrekten Plan gerade nicht mithabe, kann ich mit dem Tablet im Archiv schauen. Es hat alles Vor- und Nachteile. Früher wurden die Tagesberichte und Fotos einfach irgendwo abgelegt und gespeichert, jetzt ist alles in Echtzeit auf der Cloud und am Abend um 20 Uhr kann ich noch reinschauen und sehe die ganze Baustelle mehr oder weniger am Handy.“

Die ständige Zugänglichkeit hat Vor- und Nachteile:

Besinnliche Weihnachten? Nicht unbedingt. „Die Baustelle läuft rund um die Uhr. Am 24. Dezember letztes Jahr kam eine Alarmierung. Da war die Baustelle grundsätzlich schon in der Weihnachtspause, eine der wenigen Zeiten, wo wirklich Ruhe ist. Aber dann hat das Messsystem angeschlagen und automatisierte Alarmierungen an die Verteilergruppe versendet. Dann muss man auch an Heiligabend aktiv werden und schauen, wo die Ursache liegt.“ Das Problem war letztendlich leicht gefunden und schnell behoben: Aufgrund von Temperaturschwankungen war es zu einer leichten Bewegung der Bauwerke gekommen. Dennoch waren für Kronberger am 24. Dezember und den Folgetagen mehrere Telefonate notwendig – wir drücken die Daumen, dass es dieses Jahr anders ist.

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Martin Kronberger, Projektleiter der Baustelle Matzleinsdorfer Platz (Credit: Anna Riedler)

Über Martin Kronberger:

Die U-Bahn lässt den 32-Jährigen nicht los. Begonnen hat für ihn alles 2010 mit der „Kulturpassage Karlsplatz“, wo von der Oper bis zum Resslpark die ganze unterirdische Passage hell erleuchtet und mit einer 70 Meter langen Kunstinstallation ausgestattet wurde. Darauf folgten zunächst Arbeiten für die Verlängerung der Linie U1 in Richtung Oberlaa, und seit Jänner 2018 ist er mit dem Projekt Linienkreuz U2xU5 für die Baustelle Matzleinsdorfer Platz verantwortlich.

Diese Begeisterung hat er auch schon an seine kleine Tochter weitergegeben. „Wenn man sie fragt, habe ich jede U-Bahn und jede Station gebaut.“

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Alle Beiträge der U-Bahn-Serie:

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Kategorisiert in eguana.team

Von Anna Riedler

Als der Orientierungssinn vergeben wurde, hatte sich Anna gerade verlaufen. Umso besser, dass ihre Arbeit mit Baustellen nur peripher zu tun hat – sie würde vermutlich nie wieder zurück ins Büro finden. Stattdessen schreibt die studierte Journalistin fleißig Texte für unsere Homepage, unseren Blog, und literaturnobelpreisverdächtige Kurzbeschreibungen.