Blick vom Besucherbalkon in die große Halle (credit: eguana/Riedler)
Blick vom Besucherbalkon in die große Halle (credit: eguana/Riedler)

EINE FRAGE DES NIVEAUS 

Zu Besuch im Wasserbaulabor der BOKU

Wasserhaltung ist im Spezialtiefbau ein leidliches Thema – aber ein interessantes! Aus einer Mischung aus beruflichem und persönlichem Interesse haben wir uns im nigelnagelneuen Wasserbaulabor der BOKU ein wenig umgesehen. 

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Von außen ist es ein beschauliches Bild, das sich dem Besucher am Brigittenauer Sporn Nummer 3 bietet: In aller Seelenruhe fließt die Donau am Kai entlang, die Herbstsonne wird zwischen der Wasseroberfläche und der gläsernen Außenfassade des benachbarten Gebäudes hin und her geworfen. Die Ruhe trügt. Denn auch im Inneren des Wasserbaulabors der Universität für Bodenkultur (BOKU) rauscht ein Fluss. 

Fünftausend Liter Wasser strömen pro Sekunde durch eine breite Rinne, ein lautes Brausen füllt die achtzig Meter lange Halle. Da geht noch mehr, erklärt Kevin Reiterer, Senior Scientist am Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung. Zehntausend Liter Durchfluss pro Sekunde sind möglich, das entspricht in etwa der Füllmenge von 55 Badewannen. Vom Besucherbalkon hat man einen guten Blick auf die betonierte Rinne, die aktuell zehn Meter breit ist, aber auf 25 Meter verbreitert werden kann. An ihrem Ende macht sie einen Knick, führt zurück in Richtung der Besucher, verschwindet tosend unter ihren Füßen.  

“Wir machen uns den Höhenunterschied zwischen Donau und Donaukanal zunutze”, so Reiterer. “Durch den natürlichen Höhenunterschied wird das Wasser durchs Untergeschoss geschleust und anschließend in den tiefer gelegenen Donaukanal abgelassen.” Ganz ohne den Einsatz von Pumpen. Der Niveauunterschied beträgt circa drei Meter. Während in hydraulischen Laboren meist Trinkwasser verwendet wird, kommt hier also Donauwasser inklusive natürlicher Trübe und Schwebstoffen zum Einsatz. Da es nicht im Kreis gepumpt werden muss, erwärmt es sich nicht, die Temperatur bleibt gleich. Weitere Besonderheit: “Normalerweise wird bei Versuchen runterskaliert und kleiner gemacht” erklärt Reiterer. Dadurch gehen Informationen verloren. “Die alte Halle war nur dreißig Meter lang. Hier ist es möglich, Versuche im 1:1 Maßstab nachzubilden.”

Wir gehen die Rinne entlang (credit: eguana/Riedler)

Zwischen Rinne und Wand

Ist die Rinne in Betrieb, darf die Türe unter keinen Umständen geöffnet werden (credit: eguana/Riedler)

Ist die Rinne in Betrieb, darf die Türe unter keinen Umständen geöffnet werden

Schmale Fenster ermöglichen den Blick ins Innere (credit: eguana/Riedler)

Schmale Fenster erlauben den Blick ins geflutete Innere

Den Stein ins Rollen bringen 

Forschungen zu Wasserkraft und Hochwasserschutz, Sedimenttransport, Renaturierung von Flüssen und Co. wird hier betrieben, in Zukunft auch Turbinentests und Abrasionsversuche. Ein großes Thema ist auch die Frage, was passiert, wenn man einem begradigten Flusslauf wieder mehr Platz lässt. Alles rund ums Fließgewässer also. Reiterer ist besonders in der Sedimentforschung beheimatet. Darum geht es auch in dem Versuch, der aktuell in der großen Rinne durchgeführt wird. Ihr Boden ist mit Sediment bedeckt – in der Zusammensetzung, wie es in Flüssen eben vorkommt.  

Unter den Steinen befinden sich aber auch solche, die eigentlich gar keine sind. In aus Epoxidharz gegossene Fake-Stein-Hälften sind kleine Sensoren eingelassen. Über ein Smartphone lässt sich das Verhalten dieser sogenannten Smart Sediment Tracer exakt nachverfolgen, während sie zwischen den Kiesel im Wasser liegen und von der Strömung bewegt werden.  

Hintergrund der Forschung ist die Shields Formel, anhand derer sich das Verhalten und die Bewegung von Sediment in einem fließenden Gewässer berechnen lassen sollen. “Ab wann bewegt sich ein Einzelkorn?”, fasst Reiterer die Kernfragestellung zusammen. “Es ist eine alte Theorie, bei der viel vernachlässigt wird”, beispielsweise die Form von Sediment. “Wir sehen sie uns neu an.”  

Warum liegt hier Bier rum? 

Die Gänge im ganzen Gebäude sind eng und mit Bullaugenfenster in die dahinterliegenden Räume versehen. Das verleiht dem Gebäude einen Schiffscharakter.

Außerdem sind die Gänge und Böden strahlend weiß. Man merkt, dass die Eröffnung des Gebäudes erst wenige Monate zurückliegt. Nach dreijähriger Bauzeit wurde das Wasserbaulabor am 12. Juni 2023 offiziell eröffnet. Die Gesamtkosten für das Projekt betrugen rund 49 Millionen Euro, der Großteil finanziert vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. 

Architekturstudent und Designliebhaber Pablo bewundert die Deckenbalken im Obergeschoss des Wasserbaulabors. (credit: eguana/Riedler)

Architekturstudent und Designliebhaber Pablo bewundert die Deckenbalken im Obergeschoss des Wasserbaulabors. (credit: eguana/Riedler)

Im dritten Untergeschoss befindet man sich direkt unter der tiefen Rinne in der Pumpenstube. Schwarze und silberne Rohre winden sich die Decke und die Wände entlang, drei große blaue Pumpen speisen den Klarwasserkreislauf des River Lab im 2. Obergeschoss. In einer Ecke stapeln sich außerdem einige Bierkisten. Wieso liegt hier so viel Bier rum? “Das werden wir oft gefragt”, lacht er. Es ist kühl hier unten – optimale Voraussetzung für die Lagerung. Gebraucht wird es aber für Veranstaltungen, nicht für die Mittagspause. Die Öffentlichkeit miteinzubeziehen spielt in dem Labor eine große Rolle. 

Es geht ins Untergeschoss des Wasserbaulabors (credit: eguana/Riedler)

Es geht ins Untergeschoss.

Kühl hier unten (credit: eguana/Riedler)

Kühl hier unten …

Schwarze und silberne Rohre winden sich die Decke und die Wände entlang (credit:eguana/Riedler)

Schwarze und silberne Rohre winden sich die Decke und die Wände entlang.

Neben der Forschung wird hier auch Lehre betrieben: ein Hörsaal und ein Seminarraum bieten Platz für rund 200 Studierende, außerdem gibt es ein Public Lab, das unter anderem für Schulklassen genutzt werden soll. Noch ist dieser Bereich zu einem großen Teil leer, mit der Ausnahme von ein paar kleinen Modellen. In Zukunft wird die Öffentlichkeit aber auch hier in großem Maßstab experimentieren können.  

Kleine Fische und große Versuche  

Im gleichen Stockwerk befindet sich auch das River Lab, wo skalierte Versuche mit Klarwasser stattfinden. Hier steht die größte Rinne des Vorgängerlabors – im Vergleich zum Main Channel, der sich drei Stockwerke tiefer befindet, sieht sie mit ihren rund zwölf Metern fast schon zierlich aus. Auch das Bundesamt für Wasserwirtschaft (baw) hat hier eine Fläche mit einer Versuchsrinne. 

Im Biologie Lab wiederum finden Versuche mit Fischen statt, aktuell Bachforellen. Die Forscher untersuchen, ab welchem Schwebstoffgehalt die Fische im Wasser die Orientierung verlieren und abgetrieben werden.  

Die größte Rinne des Vorgängerlabors (credit: eguana/Riedler)

Im River Lab …

… befindet sich die größte Rinne des Vorgängerlabors

Auch das baw führt hier Versuche durch (credit: eguana/Riedler)

Auch das baw führt hier Versuche durch

Im Public Lab kann die Öffentlichkeit nach Lust und Laune experimentieren (credit: eguana/Riedler)

Im Public Lab …

… kann die Öffentlichkeit nach Lust und Laune experimentieren

Im Chemistry Lab finden Versuche mit Fischen statt (credit: eguana/Riedler)

Im Biologie Lab …

… finden Versuche mit Fischen statt

Wir werfen einen letzten Blick vom Besucherbalkon in die große Halle, sehen zu, wie das grünbraune Wasser durch die Rinne strömt. Wie sieht es aus mit einer stehenden Welle, fragt Pablo, natürlich aus rein beruflichem Interesse. Wenn es so weit ist, kommt er mit dem Surfbrett in die Arbeit, freut sich Kevin.  

Bei schönem Ausblick forscht es sich gleich viel leichter! (credit: eguana/Riedler)
Bei schönem Ausblick forscht es sich gleich viel leichter! (credit: eguana/Riedler)
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Von Anna Riedler

Als der Orientierungssinn vergeben wurde, hatte sich Anna gerade verlaufen. Umso besser, dass ihre Arbeit mit Baustellen nur peripher zu tun hat – sie würde vermutlich nie wieder zurück ins Büro finden. Stattdessen schreibt die studierte Journalistin fleißig Texte für unsere Homepage, unseren Blog, und literaturnobelpreisverdächtige Kurzbeschreibungen.