angsteinflößende KI: T900. Credit: Lothar Dieterich, pixabay

Künstliche Intelligenz im Tiefbau

Augen zu, Vorstellung an. Das innere Auge sieht eine Bar, verraucht, ein paar langhaarige Männer in Lederwesten, über Billardtische gebeugt. Arnold Schwarzenegger anno 1991 betritt die Bühne. Im Adamskostüm. „Ich will deine Kleider, deine Stiefel und dein Motorrad deine Bohrmaschine.“

Was ein kleiner Schritt für Arnold war, war ein großer Schritt für die Filmgeschichte. Und bis heute prägen Bilder wie die des T-900 unsere Vorstellung von Künstlicher Intelligenz. KI, das klingt für die einen nach Terminator, Matrix oder Blade Runner, für andere wieder nach schachspielenden Computern und selbstfliegenden Taxis. Dass diese Technologie keine ferne Zukunftsmusik, sondern schon sehr bald Alltag sein könnte, ist mittlerweile in den meisten Köpfen angekommen. An den Tief- und Tunnelbau denkt dabei kaum jemand – ein Fehler, wenn man Helmut Wannenmacher zuhört.

Helmut arbeitet nämlich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit und seinem nebenberuflichen Studium gerade am Einsatz von KI im Tief- und Tunnelbau mit dem Ziel, schneller auf unvorhergesehene Änderungen reagieren zu können.

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KI hilft, Probleme zu lösen Aber von vorne. Beim Grouting fallen ja bekanntlich Unmengen an Daten an (unsere Spezialität). Diese Daten werden gesammelt, in Protokollen festgehalten und an Bauaufsicht, Auftraggeber oder Planer abgegeben – die Interpretation kann schon mal ein paar Tage dauern, was problematisch ist, weil die aufgezeichneten Daten das einzige sind, woran man sehen kann, ob eine Injektion das Injektionsziel erreicht. „Du machst deine Arbeit, steckst irgendwo einen Packer rein, drückst die Suspension rein, aber das Ergebnis siehst du im Allgemeinen nicht“, so Helmut. „Die einzige Möglichkeit, die du hast, dieses Ergebnis sichtbar zu machen, ist dein Injektionsbericht – die Auswertung deiner Parameter; der Beweis, dass du deine Arbeit entsprechend der Vorgaben gemacht hast.“

Die gezielte Auswertung bestehender Datensätze mit ein wenig geomechanischem Grundverständnis (Helmuts Spezialität) soll letztendlich die Frage klären, ob auch das Injektionsziel erreicht wurde – das da wäre: den Untergrund zu verbessern oder abzudichten, etwa durch eine Felsinjektion oder dergleichen, und die Struktur des Materials nachhaltig zu verändern.

Dazu erstellt der planende Ingenieur eine Art Gedankenmodell, in dem er definiert, wie viel Material bei welchem maximalen Druck in den Untergrund eingebracht werden muss, um zu einem gewünschten Ergebnis zu kommen, ohne dabei den Untergrund aufzureißen.

Auf Basis dieses Modells wird dann verglichen, ob die richtige Menge an Material eingebracht oder der maximale Druck ausgeübt wurde oder nicht. Was NICHT durch das Modell beantwortet wird, ist die Frage, ob das Injektionsziel in Realität erreicht wurde.

Dies liegt daran, dass niemand den Fließweg einer Injektion voraussagen kann. Daher lässt sich auch nicht mit Sicherheit sagen, ob die Injektion erfolgreich war, nur weil viel Suspension oder ein hoher Druck eingebracht wurde. Es braucht also neue Ansätze zum Verständnis der Injektion; Ansätze, die letztendlich mit solchen Unsicherheiten umgehen können und unabhängig etwaiger Einflussfaktoren zum Injektionsziel führen können, meint hierzu Helmut.

VOM WEG ABGEKOMMEN?

Das Gedankenmodell definiert, wie viel Volumen an Injektionsmaterial unter welchem Druck eingebracht werden muss. Eine Abweichung von diesem geraden Weg ins Ziel bedeutet immer eine Veränderung, die Auswirkungen auf die Injektion haben kann. Wenn es aber ein paar Tage dauert, bis die Datenblätter erstellt, abgegeben und interpretiert wurden, werden Fehler oder Abweichungen erst bemerkt, wenn es ohnehin schon zu spät ist. „Das ist des Pudels Kern“, so Wannenmacher: „Wie viel Zeit habe ich, um auf so eine negative Abweichung zu reagieren? Um adäquat reagieren zu können, brauchst du eine Computerunterstützung, weil du die Daten gar nicht fassen kannst, weil das System Injektion viel zu komplex ist, um dies konstant während der Ausführung fassen zu können.“

Sämtliche Datenmuster gehören hinsichtlich ihres geomechanischen Verhaltens klassifiziert. Hier fängt die Sache an, kompliziert zu werden. Gemeinsam mit Harald Krenn, Bereichsleiter der Trevi Geotechnik Wien, hat sich Helmut Wannenmacher ein System überlegt, um diese Abweichungen nicht allein aufgrund von Druck und Durchflussmenge zu quantifizieren, sondern aufgrund des Verhältnisses der beiden Parameter auf Basis der vorhergehenden Werte.

MUSTERGÜLTIG

Injektionsgraphen sind letztendlich Kurven. Kurven können anhand ihrer Steigung quantifiziert werden. Ist die Steigung einer Kurve Null, hat sich das System nicht verändert. Ist die Steigung aber größer als Null, so hat sich ein Parameter im System verändert (siehe: Abbildung 1). „Diese Steigung, die man beobachtet, ist die erste Ableitung. Man kann die erste Ableitung von Druck und die erste Ableitung von Durchfluss in einem Graphen zusammenfassen, in ein Muster überführen und klassifizieren.“

Erste Ableitung
Abb. 1: Erste Ableitung von Grouting-Daten und -Mustern. Links sieht man die erste Ableitung, rechts die Überführung in ein Muster.        Credit: Helmut Wannenmacher, Identifying Jacking and Fracturing of Soil and Rock Mass, 2019

Um diese Mustererkennung geht es in einem gemeinsamen F&E-Projekt. Anstatt diese Muster aber sofort in eine KI einzuspielen, setzten die Ingenieure einen Zwischenschritt und handhabten die Mustererkennung manuell. „Mir ist wichtig, geomechanischen Sachverstand mit einer Datenauswertung zu kombinieren“, so Wannenmacher.

Die wichtigste Frage für den Anwender, die sich bei diesen Überlegungen stellt, ist die Frage nach der Zeit: Habe ich genug Zeit, um auf ein erkanntes Muster adäquat reagieren zu können? „Die Frage ist, ob es durch den Einsatz modernster Technologien möglich ist, ein Muster positiv zu beeinflussen. Wir gehen davon aus, dass das möglich ist. Wir müssen nur messtechnisch schnell genug reagieren können“, ist Wannenmacher überzeugt – denn sonst würde die ganze Überlegung keinen Sinn machen.

AUS ERKENNTNISSEN LERNEN

Beim zeitlichen Aspekt kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel. Um ein Muster mitsamt seiner Bedeutung für die Injektion zu erkennen, müssen die Injektionsparameter durchgecheckt und das Ergebnis einem bereits bekannten Muster zugewiesen werden.

KI erkennt Muster
Abb. 2: Muster dargestellt in Grün. Credit: Helmut Wannenmacher, Identifying Jacking and Fracturing of Soil and Rock Mass, 2019

Die KI ist in der Lage, diese Muster zu erkennen. Damit ein Computer ähnliche Muster finden und interpretieren kann, müssten der KI noch mehr mathematische Vorgaben gegeben werden, anhand derer sie lernen kann. Wannenmacher nutzt dafür eguana SCALES, wo er einfach und schnell nach simultanen Mustern in der Datenbank forschen kann – natürlich nicht selbst. „Dafür brauche ich die KI von eguana SCALES: Um ganz viele Muster wiederzuerkennen. Wenn sie erkannt wurden, kann man dem Computer sagen, wie wir auf die Abweichung hätten reagieren können.“ Aus dieser Erkenntnis wiederrum kann der Algorithmus lernen. „Ich glaube, dass die KI eine sehr gute Unterstützung sein kann, damit der Pumpenfahrer mehrere Injektionen parallel ohne Fehler ausführen kann. Der Computer muss die laufende Steuerung übernehmen, da die Reaktionszeiten eine unmittelbare just-in-time Reaktion bedingen. Das ist ein neuer und wesentlicher Schritt, den wir gemeinsam vorhaben.“

So nebenbei arbeitet Helmut gemeinsam mit eguana auch an spannenden neuen Projekten – wir hoffen, ihn bald wieder mit einem Erfahrungsbericht hier bei uns begrüßen zu dürfen. Bis dahin heißt es von uns: „Hasta la vista, baby – We’ll be back!“ (frei nach Terminator)

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Wir bedanken uns bei Helmut Wannenmacher für seine  Expertise, Zeit und Geduld (künstliche Intelligenz ist nicht unbedingt mein Fachgebiet) und freuen uns auf weitere Zusammenarbeit!

Credit: Helmut Wannenmacher
Credit: Helmut Wannenmacher

Über Gastautor Helmut Wannenmacher

Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde? Stahlpferde jedenfalls, wenn es nach Helmut Wannenmacher geht. Wenn er nicht gerade bei Implenia Österreich arbeitet oder an der RWTH Aachen sein Doktorratsstudium vorantreibt, ist der Ingenieur nämlich am ehesten dort zu finden, wo man ein Rad auf einen Berg hinauf schleppen und runterfahren kann.

Geboren und aufgewachsen im Tiroler Unterland, hat Helmut bereits auf der ganzen Welt Projekte erfolgreich abgeschlossen: Von Nord- und Südamerika über Afrika bis in den Nahen Osten und nach Asien hat es ihn schon verschlagen. Derzeit arbeitet Helmut am Semmering Basistunnel und ist für die Umsetzung der größten Injektionsmaßnahme Österreichs am Baulos 1.1 zuständig. Was den vielbeschäftigten Multitasker antreibt, ist der „feste Glaube, dass Computer uns die Arbeit erleichtern sollen und wir damit mehr Freizeit lukrieren können.“

Wem das noch nicht genug Information war, der schwingt sich am besten selbst in den Sattel und sucht den nächsten Berg auf. Oder klickt einfach hier.

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„Ich habe mit dem Pumpencomputer gesprochen.“
„Und?“
„Er hasst mich.“

(frei nach Per Anhalter durch die Galaxis)

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Stephen Hawking: „Roboter werden Menschen überlegen sein.“

Credit Titelbild: pixabay, Lothar Dieterich
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Kategorisiert in eguana.tech

Von Anna Riedler

Als der Orientierungssinn vergeben wurde, hatte sich Anna gerade verlaufen. Umso besser, dass ihre Arbeit mit Baustellen nur peripher zu tun hat – sie würde vermutlich nie wieder zurück ins Büro finden. Stattdessen schreibt die studierte Journalistin fleißig Texte für unsere Homepage, unseren Blog, und literaturnobelpreisverdächtige Kurzbeschreibungen.