Endlich ist es so weit, die Stadt Wien bekommt ihre sechste U-Bahn-Linie! Diese trägt ausgerechnet die Nummer fünf – kurios genug für einen Blogbeitrag, möchte man meinen, aber zur U-Bahn gibt es noch so viel mehr Spannendes zu erzählen. Deshalb widmen wir uns in den nächsten Wochen in einer Serie den Teilbereichen des Sozialschlauches (ja, so nennt man sie anscheinend umgangssprachlich). Den Anfang macht unser heutiger Blogbeitrag mit einer kurzen Geschichte der U-Bahn.
Also, es war einmal …
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Eine Stadt von Welt braucht eine U-Bahn, so wie die Suppe ihr Salz. Ob das stimmt oder nicht, sei dahingestellt. Dass die Metropolen der Welt auf die U-Bahn als Fortbewegungsmittel setzen, ist jedoch Fakt. Unter den zehn größten Städten der Welt befinden sich lediglich zwei ohne entsprechendes Metro-Netz: Jakarta (die Hauptstadt Indonesiens) und Karatschi (die größte Stadt Pakistans).
Das älteste U-Bahnnetz der Welt, die London Underground, eröffnet 1863, feiert in zwei Jahren ihr 160. Jubiläum. Damals wurde die Tunnelstrecke noch mit dampflokomotiv-bespannten Zügen befahren, was aber international keine Nachahmung fand. Zu nah vor dem Durchbruch war man bereits hinsichtlich elektrischer Lokomotive, die Siemens schließlich im Jahr 1879 auf der Berliner Gewerbeausstellung präsentierte.
Der U-Bahn stand scheinbar nichts mehr im Weg – weil ein Bau untertage jedoch viel teurer und umständlicher war als der Bau eines Viaduktes, verliefen die ersten Strecken dieser Art als Hochbahnen. Es sollte noch mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis schließlich in London am 4. November 1890 die allererste Untergrundbahn eröffnete. Das löste einen regelrechten Boom aus. Auf der ganzen Welt folgten Städte dem Vorbild Londons in der Hoffnung, so ihre Verkehrsprobleme zu lösen.
Wien ist anders
Die Pläne für den Bau einer U-Bahn in Wien sind sogar noch älter als die der London Underground, sie reichen zurück bis in die 1840er Jahre.
Manche Städte beginnen eine U-Bahn ja von unten – aber Wien ist bekanntlich anders und hat den U-Bahnbau erst mal aus der Vogelperspektive in Angriff genommen. Wobei „Angriff“ hier tatsächlich das Schlüsselwort ist. In (beziehungsweise ursprünglich: Um) Wien gab es lange Zeit einen Stadtgraben. Für sich schon eine spannende Geschichte, konnte er beispielsweise doch bei Bedarf geflutet werden, war zwischendurch als Weidefläche und kurzzeitig sogar als Tiergarten im Einsatz.
Doch wir kommen vom Thema ab. Mit zunehmender Größe der Stadt wurde schnell klar: Ein Graben mitten drin war nicht mehr zeitgemäß: die Türkenbelagerungen waren überstanden, die Stadtgrenzen hatten sich längst verschoben und Europa sich stabilisiert – was lag also näher, als ihn zuzuschütten. Doch im Zuge dieser Überlegungen wurden schon Mitte des 19. Jahrhunderts Stimmen laut, die in dem Graben gerne eine Röhre für eine „Wiener Stadteisenbahn“ gesehen hätten. Mit ganz echten PS, versteht sich …
Doch oft geplant ist nur halb gebaut, und mit typischer Wiener Nonchalance wurde das Projekt erst mal in vielen Facetten diskutiert und wieder und wieder aufs Abstellgleis befördert. Stattdessen wurde fünfzig Jahre später zunächst der Bau einer oberirdischen, dampfbetriebenen Stadtbahn beschlossen. Diese Stadtbahnlinien sind heute noch zum Teil erhalten. Auf ihnen basieren die heutige U4 und U6. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden neue Pläne für den Bau einer diesmal unter der Erde verlaufenden Bahn vorgelegt, der Beginn des ersten Weltkrieges und die anschließende Wirtschaftskrise machten allen Überlegungen diesbezüglich jedoch zunächst einmal ein Ende.
Braune Linien
Aufgenommen wurden sie erst Jahrzehnte später wieder von den Nationalsozialisten.
1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an Deutschland, Wien wurde zu Propagandazwecken mit ein wenig Schummeln zur „flächenmäßig größten Stadt des Dritten Reiches“. Durch Einverleibung umliegender Gebiete erhielt Wien vier zusätzliche Bezirke, der Großteil davon wurde nach Kriegsende wieder rückgängig gemacht und Niederösterreich übertragen.
Hitler hatte große Pläne für das Deutsche Reich, besonders für Berlin, seine zukünftige Welthauptstadt „Germania“. Alles sollte größer, besser sein als jemals zuvor – so natürlich auch die U-Bahn. Auch für Wien wurde erneut eine U-Bahn geplant. Wieder kam es jedoch über Probebohrungen nicht hinaus.
Schritt für Schritt, Zug um Zug
Nach Kriegsende sorgte die U-Bahn für Konflikte zwischen den Parteien. Erst, als München in den 60er Jahren mit dem Bau einer U-Bahn begann, beugten sich alle dem Konkurrenzdruck aus Deutschland. München eröffnete den ersten Streckenabschnitt im Oktober 1971, rechtzeitig zum Beginn der Olympischen Sommerspiele 1972. In Wien dauerte es bis zur offiziellen Eröffnung der U1 noch bis 1978. Die Type U, auch als „Silberpfeil“ bekannt, bezeichnet die erste Generation der Wiener U-Bahn-Fahrzeuge.
Schlag auf Schlag wurden 1980 die U2, 1989 die U6 und 1991 die U3 eröffnet. Dieses Grundnetz wurde seither laufend erweitert und umfasst heute 78,5 Strecken-Kilometer und 104 Stationen. Grund für die ungeordnete Nummerierung ist, dass die Pläne für die U-Bahnen schon seit Langem bestehen, die Umsetzung der Bauvorhaben jedoch erst im Laufe der Zeit realisiert werden konnte. So verhält es sich auch mit der U5. Ursprünglich hätte sie von Hernals über den Schottenring bis zum Stadion führen sollen – den Abschnitt Schottenring-Stadion übernimmt seit 2008 jedoch die U2. Oft konzipiert, nie ausgearbeitet, hat wohl keiner mehr so recht an den Bau dieser Linie geglaubt.
Ende in Sicht
Nun soll sie aber tatsächlich gebaut werden und als erste fahrerlose U-Bahn Wiens die Strecke der U5 vom Elterleinplatz bis zum Karlsplatz fahren und ab der Station Rathaus den Weg der Linie U2 übernehmen. Zeitgleich wird die U2 vom Rathaus bis zum Wienerberg verlängert. Mit 37 Metern Tiefe zwischen der Neubaugasse und der Pilgramgasse ist diese dann die tiefste U-Bahn Wiens – zur Zeit ist das noch die Station Altes Landgut mit 31 Metern.
(Übrigens: Am Matzleinsdorfer Platz haben die Wiener Linien letztens die nötige Tiefe erreicht.)
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Wir beenden unseren heutigen Blogbeitrag also mit einem topografischen, keinesfalls aber persönlichem Tiefpunkt. Dieses war der erste Streich, und der zweite folgt sogleich: Auf der nächsten Station unserer Reise widmen wir uns der Frage, wie man denn den Bau einer U-Bahn tatsächlich angeht und welche Hindernisse und Methoden es gibt.
*Credit: KaterBegemot/Wikimedia Commons